Der steinerne Engel
richtigen Stellvertreter, Eliot Dobbs. Der ist längst nicht mehr da, hat im Norden einen besseren Job gekriegt. Jetzt, da überall die Städte Pleite gehen und die Leute wegziehen, brauchte ich im Grunde keinen neuen Deputy, deshalb habe ich ihn nie ersetzt. Aber seine Beziehungen zu den Feds fehlen mir schon ein bisschen.«
Er ging weiter, betrachtete die Grabmäler, die den Kiesweg säumten, und suchte nach einem guten Versteck.
»Wie haben Sie rausgekriegt, dass Eliot für die Feds gearbeitet hat?«, fragte Lilith hinter ihm.
»Er hat ganz offen gefragt, ob mich ein Spion auf meiner Gehaltsliste sehr stören würde. Seine Frau erwartete ein Kind, und er brauchte das Geld. Ich hab ihm sogar noch geholfen, den Feds Märchen zu erzählen. Und als ich dann wirklich mal Hilfe brauchte, haben die Feds mir unter die Arme gegriffen, um Eliot einen Gefallen zu tun. Ein Junge aus Dayborn war durchgebrannt. Jimmy war damals noch ziemlich klein, viel zu klein jedenfalls, um allein auf der Walz zu sein. Mit Hilfe der Feds habe ich ihn in New York City aufgestöbert und zurückgebracht.«
Und nach New York war auch Kathy geflüchtet, davon war er jetzt überzeugt. Führte denn jede Straße der Welt in dieses Höllenloch? Der Cop im Dezernat für vermisste Personen hatte ihm erzählt, dass es keinen Bundesstaat gab, der nicht schon mal ein Kind an die Straßen von New York verloren hatte. Nach seiner Heimkehr hatte Jimmy Simms in der Schule wahrscheinlich groß mit seinen Abenteuern in der Stadt geprahlt - aber Jimmy war gute fünf Jahre älter als Kathy gewesen.
»Als Kathy verschwand, war Eliot dann wohl schon weg«, sagte Lilith.
»Ja, aber bei ihr hätten wir das FBI sowieso nicht eingeschaltet. Sie hatte so viel Blut verloren ... Wir dachten alle, sie wäre tot.«
Lilith legte einen Finger an die Lippen und deutete nach Osten.
Die Engelsfigur rollte an.
Es war eine imposante Statue mit ausgebreiteten Schwingen und einem Schwert in der Hand. Der Bodennebel verbarg den Saum ihrer wallenden Robe und die Palette, sodass es aussah, als schwebte sie zwischen den Gräbern dahin.
Lilith bekreuzigte sich, und der Sheriff dachte bei sich, dass seine Stellvertreterin in dieser Beziehung wohl doch ihrem Vater nachschlug.
Tom Jessop zog sich hinter die Gruft zurück, wo sich schon Lilith postiert hatte, als Henry Roth vor der Engelsfigur auftauchte und zwei Bretter vor sie hinlegte, die sofort von den weißen Schwaden verschluckt wurden. Der Engel schwenkte nach links ab in Richtung seines Sockels, und jetzt sah der Sheriff, dass hinter seinen Flügeln Charles Butler stand, der die Figur langsam mit der Schulter vorwärts schob.
Butler hatte den Anzug mit Weste abgelegt und trug Jeans und ein Baumwollhemd wie ein Arbeiter. In diesem Aufzug gefiel er Jessop bedeutend besser.
Butler und Roth verschwanden hinter einem der niedrigen Gräber, und nur der Kopf der Engelsfigur und ihr Schwert zogen an den Spitzdächern der Monumente mit ihren Kreuzen und Kruzifixen vorbei.
Schweigend warteten der Sheriff und Lilith, bis der Engel wieder in Sicht kam. Jetzt erhob er sich in die Lüfte. Die beiden Männer hoben die Figur rechts und links mit einer Winde an, bis sie sich auf gleicher Höhe mit dem Sockel befand. Butler hatte erstaunlich viel Kraft. Er stand auf dem Sockel und bewegte den Engel hin und her, bis er an seinem angestammten Platz stand. Es sah aus, als ob er mit ihm tanzte.
Dann sprang er herunter und packte die schwere Palette und die Bretter, als wären sie dünne Reisigbündel. Henry nahm die Winde, und sie verließen gemeinsam den Friedhof.
Lilith Beaudare stand auf und streckte sich. »Und Sie glauben, das ist Mallorys Idee?«
»Das glaube ich nicht nur, ich weiß es. Und jetzt weiß ich auch, dass sie Charles Butler kennt. Übrigens steckt deine Tante da auch mit drin. Sie hat die Lügen gedeckt, die Butler mir aufgetischt hat.«
Der Sheriff ging zu der Figur hinüber und sah bewundernd zu dieser neuen Darstellung von Cass Shelley auf. Genauso zornig hatte Cass ausgesehen, wenn er mit ihr gestritten hatte.
Lilith stellte sich neben ihn. »Warum macht sie das?«
»Damit die Leute wissen, dass sie gekommen ist, um abzurechnen.« Sehr elegant, diese steinerne Drohung. Mallory war eine Meisterin im Hassen. »Ich muss mir was einfallen lassen, um sie zu bremsen, ehe noch jemand ums Leben kommt.«
»Glauben Sie etwa, Mallory hätte Babe umgebracht?«
Das klang so besorgt, dass der Sheriff überlegte, was Lilith
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