Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
unerklärliche Phänomene gestoßen. Und deshalb kehren sie heute zurück: um das Experiment zu wiederholen, das ihnen damals geholfen hat, sich diese Kräfte anzueignen.«
    Der Italiener schüttelte langsam den Kopf. »Das ist doch komplett verrückt.«
    »Allerdings. Außerdem bin ich inzwischen noch zu einer weiteren Überzeugung gelangt: Das wahre Mordmotiv ist der Diebstahl der Geheimnisse. Jewgenij Talich rächt sein Volk, aber nicht in dem Sinn, wie ich dachte. Er rächt nicht speziell die Arbeiter, die in dem Reaktor verheizt wurden, sondern ganz allgemein die Ausbeutung ihrer und seiner Kultur. Er rächt sich für die Entweihung. Diese Schweine haben die besondere Gabe der Tsewenen gestohlen. Und dafür bezahlen sie jetzt einen hohen Preis.«
    »Wieso dreißig Jahre später? Wieso wartet er ab, bis sie zum Tokamak zurückkehren?«
    »Die Antwort darauf gibt wahrscheinlich der Teil der Geschichte, den wir nicht kennen – vielleicht hat es mit der Technik zu tun, die sie benutzten, um sich die Kräfte anzueignen. Mit dem Treffen, zu dem die Kinder mit den gebrandmarkten Fingerkuppen gerufen haben.«
    Sie stand auf. Der Ethnologe beobachtete sie. »Und jetzt?«, fragte er. »Was passiert jetzt? Was tun wir?«
    Diane zog ihren Parka an. Sie war wie berauscht vom Leben, berauscht von der Wahrheit, die sie zu ergründen trachtete.
    »Ich gehe noch einmal zu der Anlage zurück. Ich muss das Labor finden. Dort hat sich alles abgespielt.«
     
     
     
KAPITEL 66
     
    Die Nacht brach herein. Giovanni hatte zwei Acetylen-Sturmlampen mit Reflektoren mitgenommen, die sie vor sich hertrugen – damit sahen sie aus wie zwei Bergleute aus einem anderen Jahrhundert, die sich im Labyrinth aufgelassener Stollen verirrt hatten. Erst als sie die Brennstoffpatrone auswechselten, wurde ihnen bewusst, dass sie schon seit mehr als drei Stunden unterwegs waren. Ohne ein Wort gingen sie weiter, entdeckten weitere Generatoren, weitere Leitungsinstallationen, weitere Flure. Aber noch immer fanden sie nicht den geringsten Hinweis auf einen Ort, der dem entsprechen konnte, was sie suchten.
    Gegen Mitternacht standen sie vor einem vollkommen leeren Raum, mit kahlen Wänden. Die Kälte drang ihnen in die Knochen, und vor Müdigkeit und Hunger war ihnen schwindelig. Erschöpft ließ sich Diane auf einen Schutthaufen sinken.
    »Es gibt nur noch einen Bereich, in dem wir nicht gesucht haben«, sagte Giovanni leise.
    Sie nickte. Ohne ein weiteres Wort machten sie sich wieder auf den Weg und steuerten auf den steinernen Ring zu. Nachdem sie weitere Flure, weitere Höfe durchquert hatten, gelangten sie in einen Raum, den Diane sofort wiedererkannte: Hier war der Zugang zum Tokamak. Linker Hand erspähte sie eine Kammer, die wie ein Umkleideraum aussah, und als sie näher trat, entdeckte sie Schutzkleidung von der Art, wie sie Bruner auf dem Pariser Périphérique getragen hatte. Sie fand außerdem Gesichtsmasken, Schutzhandschuhe und Geigerzähler: Dies alles kam ihnen sehr gelegen.
    Entsprechend ausgerüstet, betraten sie die Reaktorkammer. Diesmal brannten keine Neonlampen. Giovanni trat auf einen
    Lichtschalter an der Wand zu, doch Diane griff ihm in den Arm und murmelte durch die Maske: »Nicht. Unsere Lampen reichen.«
    Sie gingen weiter, in der Hand die Lampe, die im Rhythmus ihrer Schritte auf und nieder tanzte, und bewegten sich durch Wolken von schwebendem Staub. Sie folgten der gekrümmten, rissigen Wand auf der Suche nach einer Öffnung, einem Zugang zu einem geheimen Raum.
    »Da.«
    Mit seiner behandschuhten Hand deutete Giovanni auf eine Tür in der inneren Wand des Rings. Sie mussten zu zweit anpacken, um sie zu entriegeln. Vor dem klaffenden dunklen Loch blieb Diane zögernd stehen, während Giovanni mit seiner Lampe vorausging. Endlich raffte auch sie sich auf und folgte ihm und schloss hinter sich die Tür. Sie gelangten in eine weitere Schleuse, wo Diane einen Blick auf ihren Geigerzähler warf: Die Nadel rührte sich nicht mehr – hier gab es keine Radioaktivität. Sie nahm ihre Maske ab und erblickte eine Wendeltreppe; Giovanni war bereits auf dem Weg nach unten. Die Stufen schraubten sich rund um einen gewaltigen Stützpfeiler abwärts, hinunter ins Fundament der Maschine, unterhalb des Tokamak.
    Sie kamen zu einer zweiflügeligen Tür, die nicht mehr aus Eisen oder Blei bestand, sondern aus Kupfer. Mit der Schulter schob Giovanni die Flügel auf und trat ein. Diane folgte. In den gekreuzten Lichtstrahlen ihrer Sturmlampen

Weitere Kostenlose Bücher