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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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nach dem wir suchen.«
    Diane verstummte jäh.
    Im Hintergrund des Saals ertönte diskreter Beifall.
     
     
     
KAPITEL 67
     
    Der Mann, der aus dem Schatten hervortrat, war völlig unbehaart.
    Kahl waren seine Schläfen unter der breiten braunen Tschapka, weder Wimpern noch Brauen noch Bartwuchs milderten die kantigen, glänzenden Flächen seines Gesichts, das im Neonlicht schimmerte – die emporgewölbten Brauenbogen, der krumme, scharfe Grat der Nase, die leuchtend weiße Haut. Blitzartig schlossen und öffneten sich die nackten Lider, und ihr Zucken erinnerte an den erbarmungslosen Blick eines Raubvogels.
    »Ich bewundere Ihr Vorstellungsvermögen«, sagte der Mann auf Französisch. »Allerdings fürchte ich, dass die Wahrheit ein wenig anders ist …«
    Die Person hielt eine Automatikpistole in der Hand, zur Hälfte aus schwarzem Metall, zur anderen Hälfte verchromt. Die Situation bot wahrlich genügend Anlass zur Verwunderung; Diane jedoch fiel vorerst nur eines auf: die Ausdrucksweise des Mannes, dieses tadellose, nur von einem sehr schwachen slawischen Akzent gefärbte Französisch.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie.
    »Jewgenij Mawriski. Arzt. Psychiater. Biologe.« Er verbeugte sich ironisch. »Mitglied der Akademie der Wissenschaften von Nowosibirsk.«
    Er trat näher: klein, kompakt wie ein Ster Holz, in eine graue Jacke gekleidet, deren Pelzkragen sich um seinen feisten Hals spannte. Er musste um die sechzig sein, doch seinem nackten Gesicht haftete etwas erschreckend Altersloses an.
    »Sie haben dem Labor für Parapsychologie angehört?«, sagte Diane, und es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
    Mawriski nickte mit seinem pelzbesetzten Mützenschirm. »Ich war Leiter der Abteilung, die sich mit den Heilern befasste: mit dem Einfluss des Geistes auf die Physiologie des Menschen. Was manche auch Biopsychokinese nennen.«
    »Und Sie waren selbst ein Heiler?«
    »Damals besaß ich nur wenige, unzureichende und unzuverlässige Kräfte. Wie im übrigen jeder von uns. In gewisser Weise war das unser Pech …«
    Diane erschauderte. Unter ihren Schläfen hämmerten die Fragen. »Wie ist es Ihnen gelungen, sich die Kräfte der Schamanen anzueignen?«
    Statt einer Antwort vernahm sie weiteres Knirschen von Glasscherben, und eine sonore Stimme ertönte: »Keine Angst, Diane, Sie haben eine ausführliche Erklärung verdient.«
    Auf Anhieb erkannte sie den Mann, der jetzt ans Licht trat: Paul Sacher, den Hypnotiseur vom Boulevard Saint-Germain.
    »Wie geht es Ihnen, junge Frau?«, erkundigte er sich.
    Diane versuchte verzweifelt, ihre Gedanken an die Geschwindigkeit der Ereignisse anzupassen. Dann aber fand sie die Anwesenheit dieses Mannes gar nicht so verwunderlich. Sacher wies das ideale Profil für diesen Kreis von Wissenschaftlern auf: Tscheche, Dissident und Überläufer, Experte für einen verborgenen Bereich des menschlichen Bewusstseins, den er durch Hypnose erschloss. Und sie begriff jetzt, dass er derjenige war, der ihr bei Irène Pandove zuvorgekommen war, vermutlich auf der Suche nach Jewgenij Talich. Von der unwiderstehlichen Macht seines Blicks hatte die Frau gesprochen, als sie sagte: »Die Augen … Ich hätte mich nicht wehren können …«
    Sacher trat an Mawriskis Seite. Er trug eine weiße Strickmütze, einen dunkelblauen Parka und Goretex-Handschuhe und schien geradewegs von der Skipiste in Val-d’Isère zu kommen. Störend war an seiner Erscheinung lediglich die Maschinenpistole, die er in der rechten Hand hielt.
    Diane spürte, wie das Zittern zurückkehrte. Sachers Anblick beschwor zwangsläufig das Bild von Charles Helikian herauf, und sie kam auf ihren ursprünglichen Verdacht zurück: Konnte ihr Zigarren rauchender Stiefvater diesem höllischen Kreis angehört haben? Hatte er die Reise hierher in achtundvierzig Stunden zurückgelegt? War er womöglich in der Nähe? Oder schon tot?
    In gleichmütigem Ton sagte der tschechische Arzt: »Ich nehme an, in groben Zügen ist Ihnen unsere Geschichte inzwischen bekannt …«
    Mit unangemessenem Stolz breitete Diane ihre Kenntnisse aus, Gewissheiten und Vermutungen miteinander vermischt. Das von Talich 1968 ins Leben gerufene Labor für Parapsychologie. Die Anwerbung von Spezialisten im gesamten Ostblock, darunter ein oder mehrere Überläufer aus Frankreich. Die perversen Praktiken, auf die das Labor verfallen war, als es auf wissenschaftliche Experimente verzichtet und stattdessen zunehmend auf Folter und Quälerei zurückgegriffen hatte.

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