Der steinerne Kreis
…«
»Es geht nicht um glauben oder nicht glauben.«
Sie hob Pullover und T-Shirt und entblößte ihren Bauch: Die Haut war weiß, glatt, nahezu unberührt. Wo das Fleisch ein paar Stunden zuvor schwärend und verbrannt gewesen war, zeichnete sich nur noch eine leichte Röte ab.
Giovanni war sprachlos.
»Die Schamanin hat meine Verbrennung geheilt«, fuhr Diane fort. »Es ist ihr gelungen, die Strahlenschäden rückgängig zu machen. Sie hat diesen Krebs aus mir herausgezogen und einem kleinen Nagetier angehängt, das in Flammen aufgegangen ist. Nenn es, wie du willst: Hexerei, Psi, Geistheilung … Tatsache ist, dass die spirituelle Kraft, die ich meine, von einer Reinheit ist, die wir Wissenschaftler niemals vermutet hätten. Und diese Kraft ist es, die mich gerettet hat.«
Wie selbstverständlich hatte sie ihn geduzt: Sie bewegten sich nicht mehr auf einer Ebene, auf der das »Sie« eine Rolle spielte. Mit ungläubiger Miene setzte Giovanni zu einer Antwort an, doch dann ließ er es bleiben. »Na gut«, sagte er. »Wie auch immer. Ich bin jedenfalls sehr froh, Diane.«
Er griff nach ein paar Rindenstücken und warf sie in die Flammen. Der Reigen glühender Fäden begann von neuem.
»Allerdings«, fuhr er fort, »möchte ich jetzt alles wissen. Und wenn ich alles sage, dann meine ich alles .«
Diane trank einen Schluck Tee und ließ sich lange Zeit, um ihre Gedanken zu sammeln, dann begann sie. Sie erzählte von Luciens Adoption, von dem Unfall auf dem Boulevard Périphérique, von Luciens Koma und vom Eingreifen Rolf van Kaens. Von der wahren Herkunft des Jungen und von den Männern, die sich für ihn interessierten. Sie erzählte vom Tokamak, von seinen Mitarbeitern, vom Labor für Parapsychologie. Sie erzählte, wie die Wächter beauftragt worden waren, auf ihren Fingerkuppen den Zeitpunkt eines rätselhaften Treffens mitzuteilen. Sie legte ihre Hypothese dar, wonach die Forscher des TK 17 ein Geheimnis entdeckt hatten, das ihnen half, sich paranormale Fähigkeiten anzueignen und zu entwickeln. Und sie schloss mit der Überzeugung, dass die Männer nun um eben dieses Geheimnisses willen zurückgekehrt seien. Sie waren im Tokamak verabredet, am 20. Oktober 1999, also in ein paar Stunden, um ihre mentalen Kräfte zu regenerieren.
Giovanni unterbrach sie kein einziges Mal. Er gab kein Zeichen der Verwunderung von sich, äußerte keine Skepsis. Erst als sie ihren Bericht beendet hatte, fragte er: »Und wie soll das funktioniert haben, die Entwicklung dieser übersinnlichen Kräfte? Wie hätten sie sich diese … unglaublichen Fähigkeiten zugelegt?«
Dianes Gesicht brannte von der Hitze des Feuers, während an ihrem Rücken die abendliche Kälte nagte. Sie stellte sich vor, wie ihr Blut kochte. Sie konnte es förmlich sehen, orangegelb wie brennendes Harz.
»Ich weiß nicht genau«, murmelte sie. »Ich weiß nur, dass ich mich total geirrt hatte.«
»Das heißt?«
Sie holte tief Luft. Der beißende Rauch füllte ihren Mund wie ein Schwall Weihrauch. Sie dachte an die Zeremonie, die sie geheilt hatte, und sagte: »Meine erste Vermutung war, dass diese Parapsychologen durch Experimente mit den Schamanen aus Sibirien irgendeine bahnbrechende Entdeckung gemacht hätten.«
»Es deutet doch alles darauf hin, dass genau das passiert ist, nicht?«
»Nicht so, wie man es sich vorstellen könnte. Ihre metaphysischen Kräfte sind nicht das Ergebnis ihrer Forschungen.«
»Wieso nicht?«
»Aus mehreren Gründen. Erstens: Stell dir diese Schamanen vor, die schon Jahre in Gefängnissen und Straflagern verbracht haben und völlig am Ende sind. Wie hätten die Wissenschaftler an ihnen irgendwelche Kräfte erforschen können? Wie hätten sie es geschafft, sie in Zustände wie Hypnose oder Trance zu versetzen?«
»Vielleicht wurden sie nur verhört.«
»Die Schamanen hätten sicher nichts gesagt.«
»Die Sowjets hatten ziemlich überzeugende Methoden.«
»Das stimmt. Trotzdem glaube ich, dass aus ihnen nichts herauszuholen war. Die Schamanen waren leer, ausgebrannt, fern von ihrer Heimat, fern von ihrer Kultur, und hatten den Parapsychologen nichts beizubringen. Selbst wenn sie es gewollt hätten.«
»Was war es dann?«
Diane trank noch einen Schluck Tee. »Heute Morgen ist mir eine andere Erklärung eingefallen. Vielleicht sind ihnen die übersinnlichen Kräfte durch einen äußeren Vorfall zugewachsen. Durch ein Ereignis, das mit ihren Psi-Forschungen nichts zu tun hatte.«
»Und was für ein
Weitere Kostenlose Bücher