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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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nach der Stimme um. Der Mann, der auf sie zukam, maß gut einen Meter fünfundachtzig. Sie dachte an den riesigen Deutschen und fand es recht angenehm, dass sie es endlich mit Leuten ihrer Größe zu tun hatte.
    »Patrick Langlois, Polizeiinspektor«, stellte der Mann sich vor.
    Er war um die vierzig. Ein herbes Gesicht voller tiefer Furchen, unrasiert. Die Gestalt ganz in Schwarz gekleidet – Mantel, Jacke, Rollkragenpullover, Jeans. Wie die Bartstoppeln waren auch seine Haare von einem struppigen Grau und sahen aus wie Putzwolle. Die roten Augenränder vervollständigten schließlich das Bild düsterer Farben: ein schwarz-grau-roter Mondrian, personifiziert in einer ausgemergelten Gestalt mit einem verschmitzten Lächeln.
    »Kriminalpolizei«, fügte er hinzu. Diane zuckte zusammen, aber der Inspektor hob beschwichtigend die Hand. »Keine Panik«, sagte er. »Ich bin sozusagen aus Versehen hier.«
    Diane hätte gern souverän geschwiegen, um zu zeigen, dass sie die Situation im Griff hatte, doch gegen ihren Willen fragte sie: »Was meinen Sie mit ›aus Versehen‹?«
    »Hören Sie.« Er legte beide Handflächen aneinander, wie zum Gebet. »Gehen wir der Reihe nach vor, okay? Zuerst erklären Sie mir, was genau heute Nacht passiert ist.«
    In wenigen Sätzen fasste Diane ihre letzten Stunden zusammen. Der Inspektor machte sich unterdessen Notizen auf einem Spiralblock. Während er schrieb, fuhr seine Zungenspitze über den einen Mundwinkel, was in diesem kantigen Gesicht derart abwegig aussah, dass man geneigt war zu vermuten, dass er absichtlich eine parodistische Grimasse schnitt. Doch kaum setzte er den Stift ab, war die Zunge wieder verschwunden.
    »Das ist doch wirklich verrückt«, rief er aus. Mit dem Block in der Hand imitierte er mit beiden Händen zwei imaginäre Waagschalen und sagte im Befehlston: »Auf der einen Seite kehrt das Leben zurück, auf der anderen schlägt der Tod zu …«
    Diane warf ihm einen erstaunten Blick zu. Der Inspektor lächelte sie unerwartet strahlend an – die Freude sprang in sein Gesicht, als hätte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, um zum Vorschein zu kommen.
    »Ich sollte vielleicht nicht so viele große Worte machen …«
    »Gute Idee.«
    Langlois ließ die Schultern unter dem Mantel kreisen. »Na gut. Dann sage ich nur, dass ich mich für Ihr Kind sehr freue.«
    »Erzählen Sie mir, wie van Kaen gefunden wurde?«
    Langlois zögerte. Fuhr sich durch die widerborstigen Haare, warf einen Blick rechts und links den Flur entlang, dann befahl er, während er auf den Aufzug zusteuerte: »Kommen Sie mit.«
    Sie traten in die Kühle des Morgens hinaus, umrundeten das Gebäude und gingen auf den angrenzenden Trakt zu. Allmählich kam Leben in die kleine Stadt des Klinikums: In der Hauptzufahrt standen große Lastwagen, aus denen metallene Kästen auf Rädern ausgeladen wurden; darin befanden sich die Tabletts mit dem Frühstück für die kleinen Patienten. Diane wunderte sich; sie hätte nicht gedacht, dass die Klinik sich die Mahlzeiten anliefern ließ.
    Der Inspektor ging auf ein anderes Gebäude zu, das bis auf die Fenster im Souterrain dunkel war. Durch den Haupteingang traten sie ein und begegneten mehreren Polizeibeamten in Uniform. Statt der sonst allgegenwärtigen chemischen Gerüche lagen hier Essensdüfte in der Luft.
    »Hier sind die Küchen«, kommentierte Langlois.
    Er deutete auf eine halb offene Tür und ging voraus, Diane folgte ihm. Sie stiegen eine enge Treppe hinunter und betraten einen riesigen, blau gestrichenen Raum im Untergeschoss, der leer war. Vom einen zum anderen Ende erstreckten sich Fließbänder, an denen die Tabletts mit den Mahlzeiten hergerichtet wurden.
    Ohne stehen zu bleiben, begann der Inspektor: »Vorläufig können wir uns nur vorstellen, was passiert ist. Also: Gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig begleitet Sie der Mann, der sich van Kaen nennt, bis zum Haupteingang der Neurochirurgie. Dann kehrt er um, durchquert den Hof und schleicht sich hier ein: Um diese Zeit ist in der Küche nicht viel los. Niemand sieht ihn.«
    Langlois ging weiter zu einem Vorhang aus Plastikstreifen, den er mit einer schwungvollen Geste beiseite schob.
    »Er durchquert den nächsten Saal …«
    Die Betonwände waren hier in Blassorange gestrichen. Mächtige Herde unter gigantischen Abzugshauben blitzten silbrig. Langlois fegte einen weiteren Vorhang beiseite.
    »… und gelangt ins Kühlhaus.«
    Vor ihnen öffnete sich ein grün gestrichener Flur mit verchromten

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