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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Erwachen«, fügte die Schwester erklärend hinzu.
    »Wann?«
    »Vor ungefähr drei Stunden. Ich habe bemerkt, dass sich seine Finger bewegten. Ich habe den Arzt vom Dienst geholt, damit er sich selbst vergewissert, und er hält das Zeichen für eindeutig: Lucien zeigt erste Anzeichen einer Rückkehr ins Bewusstsein. Wir haben sofort Professor Daguerre verständigt, und er hat mir erlaubt, Ihnen Bescheid zu sagen.«
    »Haben Sie auch Doktor van Kaen informiert?«, fragte Diane.
    »Wen?«
    »Rolf van Kaen. Den deutschen Arzt, der mit Professor Daguerre zusammenarbeitet.«
    »Ich weiß nicht, wen Sie meinen.«
    »Macht nichts. Ich bin gleich da.«
     
    Die Atmosphäre in Luciens Zimmer erinnerte an eine Totenwache, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Die Menschen rund um das Bett sprachen in gedämpftem, respektvollem Ton, doch ihr Raunen war freudig und aufgeregt. Noch immer lag der Raum im Halbdunkel, die Gesichter jedoch leuchteten wie von einer inneren Glut. Fünf Ärzte und drei Krankenschwestern waren anwesend. Niemand trug eine Gesichtsmaske, und es schien, als hätten sie in der Angespanntheit der Situation erst im letzten Moment an ihre Kittel gedacht.
    Trotzdem war Diane enttäuscht. Ihr Kind lag unverändert reglos und starr im Bett, in derselben Position wie immer. In der Aufregung hatte sie fast damit gerechnet, Lucien wach und sitzend und mit offenen Augen anzutreffen. Doch die Kommentare der Ärzte beruhigten sie wieder, die, euphorisch über die beobachteten Anzeichen, mit ihren Hoffnungen nicht länger hinter dem Berg hielten.
    Diane betrachtete ihren Sohn und dachte an den geheimnisvollen Hünen. Die Verbände waren wieder an Ort und Stelle, ebenso die Gipsmanschette, die Elektroden und Messfühler. Niemand hätte vermutet, dass der Akupunkteur diese Entblößung vorgenommen, diesen inneren Dialog mit dem kleinen Körper geführt hatte. Sie sah wieder die grünen Nadelspitzen vor sich, die im Rhythmus der Atmung bebten, und die kräftigen Finger des Arztes, die behutsam die Nadeln im Fleisch drehten.
    »Ich muss mit ihm sprechen«, sagte sie.
    »Mit wem?«
    »Mit dem Narkosearzt aus Berlin, mit dem Sie zusammenarbeiten.«
    Erstaunte Blicke richteten sich auf sie, und ein verlegenes Schweigen trat ein. Einer der Ärzte murmelte ihr mit einem kleinen Lächeln zu: »Es ist Daguerre, der mit Ihnen sprechen will.«
     
    »Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe, Diane: keine falschen Hoffnungen. Es ist zwar nicht mehr ausgeschlossen, dass Lucien aus dem Koma aufwacht, dennoch besteht die Möglichkeit irreversibler Hirnschäden …«
    Das Büro des Chirurgen war gleichmäßig weiß, wie von einem gleißenden Licht erfüllt. Sogar die Schatten wirkten heller und leichter als anderswo. Diane, die ihm gegenüber saß, antwortete: »Es ist ein Wunder. Ein unfassbares Wunder.«
    Daguerre spielte ununterbrochen mit einem Bleistift, was ihm anscheinend half, seine Nervosität abzuleiten. »Diane«, fuhr er fort, »ich bin sehr froh über diese Entwicklung. Was hier vorgeht, ist in der Tat … außerordentlich, das stimmt. Aber ich sage es noch einmal, wir dürfen uns nicht zu früh freuen. Falls Lucien wieder zu Bewusstsein kommt – denn es steht noch keineswegs fest, dass er tatsächlich das Bewusstsein wiedererlangt –, kann sich zeigen, dass er schwere, irreversible Schäden erlitten hat.«
    »Es ist ein Wunder. Doktor van Kaen hat Lucien gerettet.«
    Daguerre seufzte. »Erzählen Sie mir von dem Mann. Was genau hat er Ihnen gesagt?«
    »Dass er aus Berlin kommt und mit Ihnen zusammenarbeitet. Hier an dieser Klinik.«
    »Ich kenne diesen Mann nicht.« Mit einem Anflug von Ärger fügte er hinzu: »Wie konnten die Schwestern und Pfleger einen wildfremden Menschen auf die Intensivstation lassen!«
    »Ich habe nirgends eine Schwester gesehen.«
    Der Chirurg schien zunehmend beunruhigt. Der Radiergummi am hinteren Ende seines Bleistifts trommelte gleichmäßig auf den Tisch. »Was hat er mit Lucien eigentlich gemacht? War es eine klassische Akupunkturbehandlung?«
    »Ob das klassisch war oder nicht, kann ich nicht sagen – ich verstehe ja nichts davon. Jedenfalls hat er Lucien alle Verbände abgenommen und in verschiedene Körperteile Nadeln gestochen … Lachen Sie nicht«, warf Diane ein, als sie die Miene des Chirurgen bemerkte. »Ich sag’s Ihnen noch einmal: Ich bin überzeugt, dass dieser Mann mein Kind gerettet hat.«
    Das Lächeln verschwand aus Daguerres Gesicht, und er sagte in dem halb

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