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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Türen auf beiden Seiten. Die Kälte nahm merklich zu. Die Neonlichter an der Decke sahen aus wie quergelegte Stalaktiten. In der Kahlheit, den kühlen Farben der Umgebung kam sich Diane vor wie in einer Flucht aneinandergereihter Würfel, die freilich die Größe eines Bunkers hatten.
    Vor einer der Türen, die sich in einer Laufschiene zur Seite schieben ließ, blieb der Inspektor stehen. Rechts oben neben der Tür stand: BEREICH 4. Zwei Polizisten in Uniformparkas standen Wache. Ein Rand aus Raureif zierte ihre Mützen. Dianes Verwirrung nahm zu. Mit einer raschen Handbewegung entfernte Langlois das gelbe Absperrungsband vor der Tür.
    Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und schob ihn in ein hoch oben angebrachtes Schloss. »Diese Kühlkammer hat sich van Kaen ausgesucht«, bemerkte er.
    »Hatte er denn einen Schlüssel?«
    »Genau diesen hatte er. Wahrscheinlich hat er ihn aus der Pförtnerloge entwendet.«
    Diane war niedergeschmettert. Sie hatte noch immer nicht die wesentliche Frage gestellt: Wie war der Mann ums Leben gekommen? Der Polizist drehte das stählerne Rad an der Tür, doch ehe er sie öffnete, wandte er sich zu Diane und sagte, an die Inoxfläche gelehnt: »Ich muss Sie warnen: Es sieht ziemlich schrecklich aus. Aber seien Sie beruhigt, es ist kein Blut.«
    »Was soll das heißen?«
    Langlois packte den senkrechten Griff und stemmte mit viel Kraft die Tür zur Seite. Ein neuerlicher Kältehauch sprang ihr ins Gesicht.
    »Lassen Sie sich überraschen. Blut ist es jedenfalls nicht«, wiederholte er.
    Mit einer Geste forderte er sie auf, ihm zu folgen. Diane machte einen Schritt und blieb wie angewurzelt stehen. Über die weiße Betonwand, die hinter grauen Plastikbehältern aufragte, zog sich ein Meer lilaroter Spritzer. Hier und dort hatten sich purpurne Krusten gebildet, scharlachrote Schlieren liefen über die Oberflächen der Kisten, und auf dem Fußboden führten violettbraune Schleifspuren bis zur Türschwelle. In diesem Raum, fünf mal fünf Meter groß, der mit Plastikgefäßen aller Art angefüllt war, schien ein regelrechtes Massaker stattgefunden zu haben. Doch das Erstaunlichste – und Abstoßendste – war der intensive Obstgeruch, übermächtig trotz der Kälte.
    Von einem Kistenstapel nahm Patrick Langlois ein in Plastikfolie gehülltes Päckchen herunter und hielt es Diane hin.
    »Heidelbeeren.« Er warf einen schrägen Blick auf das Etikett. »Importiert aus der Türkei«, las er. »Nach seiner Behandlung ist van Kaen hierher gekommen, um eine Heidelbeerorgie zu veranstalten.«
    Diane ging ein paar Schritte durch den Raum und vergewisserte sich, dass ihr Zittern von der Kälte kam.
    »Und was … was hat das alles zu bedeuten?«
    Der Polizist warf ihr ein betrübtes Lächeln zu. »Nichts anderes als das, was ich Ihnen gesagt habe. Nach seiner Akupunkturbehandlung kam Rolf van Kaen nicht etwa auf die Idee zu verschwinden. Vielmehr stand ihm der Sinn nach Heidelbeeren, und so kam er hierher und verschlang ganze Paletten von dem Zeug.« Er sah sich im Raum um. »Er muss gefressen haben wie ein Wilder.«
    »Aber … woran ist er dann gestorben?«, stammelte sie.
    Langlois warf das Päckchen auf den Stapel zurück. »An verdorbenem Magen wahrscheinlich.«
    Nach einem Blick auf Diane besann er sich. »Verzeihung«, sagte er, »das war ein Scherz. Fakt ist, dass wir die Todesursache noch nicht kennen. Aber es war zweifellos ein natürlicher Tod. Was man so ›natürlich‹ nennt. Nach unseren ersten Erkenntnissen weist die Leiche keine Spur einer Fremdeinwirkung auf. Vielleicht ist van Kaen einem Herzanfall erlegen, oder ein Aneurysma ist geplatzt, oder er hatte eine Krankheit – was weiß ich?«
    Langlois deutete auf die halb offene Tür. Es herrschte eine bedrückende Stille.
    »Das erklärt Ihnen, wieso die Küche vorläufig unter Quarantäne gestellt wurde: Stellen Sie sich vor, welchen Wirbel eine Leiche, die womöglich an einer ansteckenden Krankheit gestorben ist, mitten in einer Krankenhausküche ausgelöst hätte. Immerhin werden hier sämtliche Mahlzeiten für die Kinder zubereitet. Dass sich dieser Deutsche ausgerechnet diesen Ort aussuchen musste, um zu sterben – damit hat er ein schönes Chaos in der Klinik angerichtet!«
    Diane lehnte sich an einen der Kanister. Der Geruch nach Früchten und Zucker drehte ihr den Magen um.
    »Gehen wir«, bat sie leise. »Wirklich, mir … Ich muss hier raus …«
    Der kühle Morgenwind nahm ihr die Übelkeit ein wenig; dennoch brauchte

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