Der steinerne Kreis
durch tiefe Furchen – Züge, die von der ganzen blasierten Unbeteiligtheit eines Mannes von hoher Abkunft kündeten. Die Augen unter den buschigen Brauen waren grün, flink, schwarz umrandet und wirkten durchscheinend. Am erstaunlichsten aber waren die Bartbüschel, die sich über die Wangen abwärts kräuselten: Der Mann trug vorgeschobene Koteletten, die direkt aus dem neunzehnten Jahrhundert zu stammen schienen und sich an den Schläfen zu Schmachtlocken steigerten. Diese Barttracht verlieh ihm etwas Animalisches, Ungezähmtes, das die Verwirrung und das Erstaunen über seine Erscheinung noch vergrößerte.
Diane spürte einen unbezähmbaren Lachanfall anrücken. Der Mann vor ihr auf der Türschwelle entsprach dem klassischen Klischee des Hypnotiseurs aus Horrorfilmen – es fehlten nur noch der Umhang und der Stock mit dem silbernen Knauf. Ausgeschlossen, dass einer wie er ein Profi sein sollte, ein ernst zu nehmender, allseits angesehener Psychiater, zu dem Charles seine wichtigsten Klienten schickte. Diane war derart überrascht, dass sie seine erste Bemerkung überhörte.
»Wie bitte?«, stammelte sie.
Der Mann lächelte. Die seitlichen Bartpinsel hoben sich.
»Ich habe Sie lediglich hereingebeten …«
Zur Krönung des Ganzen war Sacher mit einem slawischen Akzent geschlagen und rollte das r wie ein alter Fiakerkutscher im Nebel der Walpurgisnacht.
Diane trat einen Schritt zurück. »Nein«, sagte sie. »Danke. Es tut mir leid, aber ich bin heute wohl doch nicht in der Verfassung, um …«
Paul Sacher ergriff ihren Arm. Der weiche Ton seiner Stimme milderte ein wenig die Grobheit der Geste.
»Ich bitte Sie, kommen Sie nur herein«, sagte er. »Damit Sie die Reise nicht umsonst gemacht haben …«
Als »Reise« hätte Diane die vierhundert Meter von ihrer Wohnung zu Sachers Praxis in der Rue de Pontoise nahe dem Boulevard Saint-Germain nicht gerade bezeichnet. Sie bemühte sich um eine ernste Miene, weil sie auf einmal befürchtete, den Mann, der sich so freundlich bereit erklärt hatte, sie noch am Tag ihres Anrufs zu empfangen, womöglich zu verärgern.
Sie trat ein und empfand eine gewisse Erleichterung. Keine schwarzen Vorhänge. Keine exotischen Gegenstände oder unheimlichen Statuen. Keine Weihrauchschwaden und kein Staub. Die Wände in schlichtem, hellem Ockergelb, die Decke weiß, die Möbel streng und modern. Sie folgte dem Herrn durch einen Flur, durchquerte einen Warteraum und betrat schließlich sein Sprechzimmer.
Der Raum, der vom Licht des Spätnachmittags erfüllt war, wurde beherrscht von einem Glasschreibtisch und einer Bibliothek in tadelloser Ordnung, und Diane konnte sich mit einem Mal die Politiker und Manager vorstellen, die sonst hier saßen und darauf brannten, ihren Stress in den Griff zu bekommen.
Der Hypnotiseur setzte sich und bedachte sie mit einem weiteren Lächeln. Diane begann sich an die silbrige Kleidung und den Guru-Blick zu gewöhnen, und die Lachlust verging ihr. Inzwischen empfand sie sogar einen Anflug von Beklommenheit bei dem Gedanken an Paul Sachers Macht. Konnte er ihr wirklich helfen, ihr Gedächtnis zu durchforsten? Würde sie ihn tatsächlich in ihr Inneres einlassen?
»Ich scheine Sie zu amüsieren, Madame«, bemerkte der Arzt.
Diane verschlug es die Sprache. »Na ja …«, begann sie stotternd, »ich hätte nicht damit gerechnet …«
»Eine so pittoreske Gestalt anzutreffen?«
»Äh … also …« Sie rang nach Worten, lächelte schließlich verwirrt. »Es tut mir sehr leid. Aber der Tag heute war anstrengend genug, und …«
Ihre Stimme erstarb. Der Arzt griff nach einem Briefbeschwerer aus schwarzem Kunstharz und drehte ihn in den Händen hin und her.
»Dass ich wie ein alter Magier auftrete, spricht nicht unbedingt für mich, meinen Sie. Dabei bin ich durch und durch Rationalist. Und nichts ist rationaler als das Verfahren der Hypnose.«
Diane hatte den Eindruck, als hätte der gutturale Akzent ein wenig nachgelassen – oder sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Sachers Ausstrahlung wirkte auf sie wie die konzentrischen Wellen, die sich auf einer Wasserfläche ausbreiten. Sie bemerkte erst jetzt die Bilder an den Wänden: Gruppenfotos mit Sacher als Lehrer und unumschränktem Herrscher im Mittelpunkt. Auf jedem Foto hielt sich die attraktivste Studentin in unmittelbarer Nähe auf und sah mit der Miene der Anbetung zu ihm hinauf. Ein Rudelführer, hatte Charles gesagt.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er und stellte den
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