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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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insofern Recht, als die herkömmlichen Kernkraftwerke in der Tat mit Kernspaltung arbeiten. Hier handelt es sich aber tatsächlich um eine Kernverschmelzung: Die Energie, die von der Sonne und anderen Fixsternen ausgestrahlt wird, stammt größtenteils aus Fusionsprozessen, und man bemüht sich seit Jahrzehnten, eine kontrollierte Fusionsreaktion zu entwickeln, um die Kernenergie technisch nutzen zu können. Die Sowjets haben in den fünfziger Jahren eben jenen Tokamak erfunden, um durch Aufheizung von Gasen ein Plasma zu erzeugen. Die sowjetische Kernfusionsforschung war ein maßloses Projekt, das sie zwang, Öfen zu bauen, die Temperaturen von zweihundert Millionen Grad erreichen. Aber das alles geht über meinen Horizont, wie ich wohl nicht eigens zu erwähnen brauche.«
    »Und was ist der Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen?«, fragte Diane.
    Er hielt ihr die Fotokopie hin und setzte eine triumphierende Miene auf: »Der Tokamak, in dem van Kaen gearbeitet hat, der TK 17, war der bedeutendste, den die Russen je gebaut haben. Eine absolut geheime Forschungsstation. Und raten Sie mal, wo? Im äußersten Norden der Mongolischen Volksrepublik, wie sie damals noch hieß, an der Grenze zu Sibirien. In Tsagaan-Nuur: Dorthin wollte der Arzt vor seinem Tod reisen.«
    Diane musterte das Papier mit den schwärzlichen Schlieren und erkannte in dem nachgedunkelten Passfoto die Züge eines jungen van Kaen mit finsterer Miene.
    »Wieso wollte er wieder dorthin?«, überlegte Langlois laut. »Ich hab nicht die geringste Ahnung, aber dass hier ein enger Zusammenhang besteht, liegt auf der Hand.«
    Es klopfte an der Tür, und der Informatiker trat ein. Wortlos legte er mehrere Ausdrucke des Phantombilds auf den Schreibtisch und verschwand wieder. Langlois betrachtete das Gesicht und sagte: »Wir werden sehen, ob der Kerl in unserer Kartei ist. Das halte ich zwar für unwahrscheinlich, aber man weiß ja nie. Parallel dazu werden wir unsere Ermittlungen auf die türkmongolischen Gemeinden in Paris ausdehnen. Einreisevisa überprüfen und so weiter. Das ist die einzige gute Neuigkeit, denn allzu viele Türkmongolen wird es hier nicht geben.«
    Er stand auf und warf einen Blick auf die Uhr. »Gehen Sie schlafen, Diane«, sagte er. »Es ist schon nach eins. Und keine Sorge: Wir verstärken die Wache vor Luciens Zimmer.«
    Er begleitete sie zur Tür. An den Rahmen gelehnt setzte er hinzu: »Offen gestanden, ich weiß nicht, ob Sie verrückt sind, Diane, aber wenn Sie’s sind, dann bei weitem nicht so verrückt wie diese Geschichte.«
     
     
     
KAPITEL 30
     
    Weiße Zimmer. Pastellfarbene Bilder. Das rote Blinklicht des Anrufbeantworters.
    Diane durchquerte ihre Wohnung, ohne das Licht einzuschalten. Sie betrat ihr Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Das granatrote Lämpchen des Anrufbeantworters auf dem Nachttisch wuchs zur Größe eines Leuchtfeuers über einem finsteren Meer heran. Sie erinnerte sich, dass sie ihr Mobiltelefon vor der Hypnosesitzung ausgeschaltet hatte. Vielleicht hatte man sie den ganzen Abend zu erreichen versucht?
    Sie drückte auf die Abhörtaste und hörte nur die letzte Nachricht: »Hier ist Isabelle Condroyer. Es ist einundzwanzig Uhr. Diane: eine großartige Neuigkeit. Wir haben Luciens Sprache identifiziert! Rufen Sie mich an.«
    Anschließend nannte sie die Nummern ihres Hausanschlusses und ihres Mobiltelefons. Im Dunkeln prägte sich Diane die erste Nummer ein und wählte. Es läutete mehrmals – es war bestimmt schon zwei Uhr morgens –, dann meldete sich eine belegte Stimme: »Hallo?«
    »Guten Abend. Hier ist Diane Thiberge.«
    »Diane … ah ja …« Sie hörte sich an, als hätte man sie aus den tiefsten Träumen gerissen. »Wissen Sie, wie spät es ist?«
    Diane hatte weder die Kraft noch das Bedürfnis, sich zu entschuldigen. »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, sagte sie nur. »Ich konnte nicht bis morgen warten.«
    »Ja, sicher …« Die Stimme gewann zunehmend an Klarheit. »Wir wissen jetzt, welche Sprache Ihr Kind spricht.« Isabelle hielt inne, um ihre Gedanken zu sammeln, dann fuhr sie fort: »Es ist ein Idiom aus der samojedischen Sprachgruppe, das ausschließlich in der Gegend um den Tsagaan-Nuur-See gesprochen wird, im äußersten Norden der Mongolischen Republik.«
    Lucien stammte also aus derselben Region, in der sich das Kernforschungslabor befand. Was bedeutete das? Diane vermochte keine Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
    »Hallo, sind Sie noch da?«,

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