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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Sie dachte an die Momente inniger Vertrautheit zurück, wenn er in ihrer Armbeuge eingeschlafen war und sie bei seinem Anblick im Geist immer wieder das magische Wort anders gehört hatte. Wie eine ferne Brandung drangen Andreas’ Erklärungen wieder an ihr Ohr.
    »Wenn Ihr Adoptivsohn tatsächlich ein Wächter ist, wenn er von seinem Volk erwählt wurde, dann bedeutet dies, dass er das zweite Gesicht besitzt. Eine dieser Fähigkeiten, die wir unter der Abkürzung ASW zusammenfassen, was außersinnliche Wahrnehmung bedeutet.«
    »Moment.« Diane heftete einen kühlen Blick auf ihren Gesprächspartner. »Sie meinen, nach Ansicht dieses Volks besitzen solche Kinder paranormale Fähigkeiten?«
    Der Mann lächelte. Mit einer beschwichtigenden Handbewegung, die sie ärgerte, antwortete er: »Nein. Das wollte ich nicht damit sagen. Ganz und gar nicht. Ich glaube, dass die Wächter ganz real über diese Kräfte gebieten. Nach den Aussagen sehr ernst zu nehmender Zeugen sind sie in der Lage, Phänomene zu erfassen, die den normalen menschlichen Sinnen verschlossen sind.«
    Das war wieder ihr übliches Glück: Sie war auf einen Spinner gestoßen. Einen, der zu lang unter abergläubischen Völkern gelebt hatte.
    Betont ruhig fragte sie: »An welche Phänomene denken Sie dabei?«
    »Die Lüü-Si-An können beispielsweise die Wanderrouten der Elche vorhersehen. Sie sagen auch andere, spektakulärere Ereignisse voraus, etwa die Erscheinung von Sternschnuppen oder Kometen. Oder bestimmte klimatische Veränderungen. Sie sind Seher, kein Zweifel. Und ihre Fähigkeiten manifestieren sich bereits in sehr jungen Jahren …«
    »Ist Ihnen klar, was Sie da sagen?«, unterbrach ihn Diane.
    Claude Andreas ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er stützte einen Ellenbogen auf den Tisch, rührte mit der anderen Hand gemächlich seinen Kaffee um und sagte beeindruckt: »Es gibt zwei Arten von Ethnologen, Madame. Die einen analysieren die spirituellen Äußerungen einer Ethnie aus einem rein psychischen Blickwinkel. Nach ihrer Auffassung sind schamanistische Kräfte und Besessenheitserfahrungen nichts anderes als der Ausdruck geistiger Verirrung – Hysterie, Schizophrenie. Die anderen, zu denen auch ich gehöre, fassen solche Erfahrungen als Manifestation von Mächten auf, deren Namen sie tragen – das heißt, von Geistern.«
    »Aber das ist doch der pure Aberglaube!«
    Ein Lächeln. Monotones Rühren im Kaffee.
    »Wenn Sie wüssten, was ich im Laufe meines Berufslebens alles erlebt habe … Ich halte es für eine grobe Vereinfachung, schamanistische Erscheinungen als bloßen psychischen Zustand oder gar als Krankheit abzutun. Das wäre so, als wenn sich ein Musikwissenschaftler lediglich für die Lautstärke eines Orchesters interessiert und sich um die Musik als solche überhaupt nicht kümmert. Denn die Magie der Musik, die sie gemeinsam zustande bringen, entsteht ja erst oberhalb der materiellen Ebene – den Instrumenten, den Musikern. Ich mag es nicht, wenn die religiösen Überzeugungen eines Volkes als bloßer Aberglaube abgetan wird. Ich lehne es ab, die magischen Fähigkeiten, die bestimmte Menschen haben, als kollektive Sinnestäuschung darzustellen.«
    Diane schwieg. Erinnerungen kamen ihr in den Sinn – sie hatte selbst schon merkwürdige Zeremonien miterlebt, vor allem in Afrika, ohne je über ihre eigenen Gefühle und ihre Einstellung dazu nachzudenken. Eines war ihr allerdings klar: In solchen Momenten machte sich eine fremdartige, ihr unbekannte Kraft bemerkbar – eine Kraft, die sowohl innerhalb wie außerhalb des Menschen zu wirken schien und sonderbarerweise vor allem in den Räumen dazwischen. Als käme es dabei zu einer Berührung mit dem Überirdischen, als würde eine unfassbare Grenze überschritten.
    Claude Andreas entging ihre Verwirrung nicht. Er fuhr fort: »Betrachten wir die Sache aus einem anderen Blickwinkel, ja? Lassen wir den religiösen Aspekt der paranormalen Phänomene beiseite und fragen uns stattdessen nach ihrer konkreten, physikalischen Realität.«
    »Das ist doch sinnlos«, unterbrach ihn Diane. »Eine physikalische Realität existiert eben nicht!«
    »Hatten Sie nie eine Vorahnung?«, fragte der Ethnologe ernst. »Vielleicht in Form eines Traums?«
    »Wie jeder andere auch. Irgendwelche unbestimmten Eindrücke.«
    »Ist es Ihnen nie passiert, dass Sie an jemanden denken, und im selben Moment oder kurz darauf ruft derjenige Sie an?«
    »Das sind die Zufälle des Lebens. Hören Sie, ich bin

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