Der sterbende Detektiv - Roman
verständliche private Neurosen in ein nationales Trauma verwandelt haben.«
Da hat er es euch aber gegeben, da ist euch sicher nichts mehr eingefallen, dachte er.
»Die Krankengymnastin«, sagte Matilda und deutete auf ihre Armbanduhr.
»Fällt leider aus«, sagte Johansson und wedelte abwehrend mit seinem Buch. »Ich erhalte hohen Besuch. Mein Schwager. «
»Isst er hier zu Mittag?«, fragte Matilda.
»Natürlich«, sagte Johansson. »Ich glaube, er isst am liebsten Fisch. Er gehört zu diesen vorsichtigen Menschen. Gehen Sie doch bitte rasch in die Söderhallarna und schauen Sie, ob es frischen Lachs gibt.«
Matilda nickte und verschwand, als Johansson eine andere Idee kam. Ostseehering, dachte er. Frischer Ostseehering, paniert und gebraten mit Stampfkartoffeln, ein wenig Essig und ein kaltes tschechisches Bier und ein …«
»Oder frischen Ostseehering!«, schrie Johansson hinter ihr her. Ob sie’s wohl gehört hat?, dachte er, als die Wohnungstür zufiel.
Alf ist wirklich ein selten umständlicher Idiot, dachte Johansson. Er bestand darauf, ihm die Hand zu schütteln, obwohl er auf dem Sofa lag und sich damit begnügt hatte, ihm zuzuwinken. Dann stellte er den Tisch zwischen sie und rückte seinen
Stuhl zurecht, schließlich nahm er einen dünnen Packen Papiere aus seiner abgegriffenen, braunen Aktentasche.
»Du sagtest, du hättest was gefunden«, meinte Johansson. Frage mich, ob er mich über den Tisch ziehen will, ob er einfach nur die Erwartungen hochschraubt, um nachher eine höhere Rechnung stellen zu können.
»Also«, sagte Alf und räusperte sich vorsichtig. »Das hat durchaus seine Richtigkeit. Ich habe eine bisher unbekannte Halbschwester Johan Nilssons gefunden. Du weißt schon, des Mannes, der mit Margaretha Sagerlied verheiratet war.«
»Und wie heißt sie?«
»Sie heißt Vera Nilsson und wurde am 21. Oktober 1921 geboren. Verstorben am 10. März 1986. Wenn du wissen willst, warum ich sie so lange nicht entdeckt habe, so lag es daran, dass ihre Verwandtschaft mit Johan Nilsson aus dem Melderegister nicht hervorging. Dort steht nämlich ›Vater unbekannt‹, dieser fast klassische Eintrag auf schwedischen Standesämtern«, meinte Alf Hult und wirkte beinahe begeistert.
»Wie weiß man dann, dass sie Geschwister waren?«, fragte Johansson. Sechsundzwanzig Jahre jünger als ihr Halbbruder Johan, dachte er.
»Das geht aus dem Testament hervor, das Johan Nilsson im November 1959 verfasste«, sagte Alf Hult, »nur wenige Monate nach dem Tod seines Vaters. Der Großhändler Anders Gustaf Nilsson starb in diesem Jahr am 15. September. Sein Sohn Johan setzt genau zwei Monate später, am 15. November ’59, ein neues Testament auf. Es wurde beim Amtsgericht Stockholm hinterlegt.«
»Was du nicht sagst«, meinte Johansson.
»Es liegt also nahe, dass Anders Gustaf Johan erst auf dem Sterbebett von seiner Schwester erzählt hat.«
»Besser spät als nie«, sagte Johansson. »Bist du dir ganz sicher?«
»Ganz sicher«, sagte Hult. »In Johan Nilssons Testament vom November ’59 vermacht er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens, ich zitiere wörtlich, ›meiner lieben Halbschwester Vera Nilsson‹, Ende des Zitats.«
»Also einen beträchtlichen Teil«, meinte Johansson.
»Ungefähr ein Zehntel des Gesamtvermögens, nach einer groben Berechnung, die ich angestellt habe. Anders Gustaf hatte kein Testament verfasst. Er war Witwer und alles ging an seinen einzigen Sohn und direkten Erben Johan.«
»Und um wie viel Geld ging es da? Was hat er seiner Schwester hinterlassen?«
»Ungefähr dreihunderttausend Kronen. Das war damals viel Geld. Wenn man die Erbschaftssteuer abzieht, die zu jener Zeit ja beträchtlich war, entspräche das heute immer noch ein paar Millionen Kronen. Außerdem vererbte er ihr einige wertvolle Gegenstände. Unter anderem ein sehr wertvolles Gemälde, einen Leander Engström. Der Titel des Gemäldes war übrigens ›Wandersmann und Jäger‹. Wurde zuletzt bei Bukowskis auf der Frühjahrsauktion 2003 für dreieinhalb Millionen verkauft. Im Testament wird es auf fünfzehntausend Kronen geschätzt.«
»Ein Leander Engström«, wiederholte Johansson. Noch ein Leander, dieses Mal allerdings der Vorname, dachte er. Bereits in den 20er Jahren verstorben, und er selbst hatte eine Fjälllandschaft von diesem Maler in seinem Wohnzimmer hängen.
»Vera Nilsson ist eine interessante Person«, sagte Alf.
»Inwiefern?«, fragte Johansson.
»Sie war die Tochter einer
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