Der sterbende Detektiv - Roman
dünnen Stapel Registerauszüge aus dem Karton. »Nur eine Sekunde.« Er begann zu blättern.
»Ich habe alle herausgesucht, die Staffan hießen«, erklärte Max. »Das waren dreißig Stück.«
»Klug«, meinte Johansson. Der Junge ist alles andere als dumm, dachte er.
»Hier ist er«, sagte Max und hielt ein Blatt Papier in die Höhe. »Staffan Nilsson, geboren am 5. Oktober 1960. Damals wohnte er in der Birger Jarlsgatan 104, hier in Stockholm. Am 5. Juni 1985 wurde ein neuer Golf GTI, Jahresmodell ’86, auf ihn zugelassen. Ein roter. Gekauft bei der Generalagentur von Volkswagen.«
»Sieh mal an«, sagte Johansson. »Sieh mal einer an«, wiederholte er und nahm den Durchschlag der Zulassungsurkunde entgegen.
Jetzt bist du dran, dachte der ehemalige Chef des Reichskriminalamts Lars Martin Johansson, der schon früh gelernt hatte, den Zufall zu hassen. Einmal ist keinmal, aber zweimal ist einmal zu viel. Jetzt habe ich dich, dachte er, und obwohl
er sich vorgenommen hatte, gelassen zu bleiben, wenn es sich herausstellen sollte, dass es sich so verhielt, wie er die ganze Zeit angenommen hatte, empfand er einen sofortigen und vollkommen unversöhnlichen Hass.
»Was ist, Chef?«, fragte Max und nahm vorsichtig seinen Arm.
»Alles in Ordnung«, antwortete Johansson. »Vollkommen in Ordnung.« Er nickte. Was mache ich jetzt?, dachte er.
VIERTER TEIL
»Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß …«
Das zweite Buch Mose, 21,24
63
Mittwochvormittag des 4. August 2010
Soweit wie möglich: feste Gewohnheiten. An den Tagen, an denen ihm sein Körper nicht irgendwie markant zu schaffen machte, frühstückte er in der Küche. Heute frühstückte er jedoch auf dem Sofa in seinem Arbeitszimmer. Bereits als er aufgewacht war, hatte er Kopfschmerzen gehabt. Dann hatte auch noch der Druck auf seiner Brust begonnen, die Angst hatte ihn gepackt, und er hatte sich mit einer weiteren kleinen weißen Tablette vor ihr gerettet. Dann war er vermutlich einen Augenblick lang eingeschlummert, denn Hypnos hatte in seinem dunklen Arbeitszimmer gestanden, den Kopf zur Seite geneigt, das seidige, blonde Haar wie das eines Kindes, ein mildes Lächeln auf den Lippen, als er ihm die Hand mit der grünen Mohnkapsel hingehalten hatte.
Eine halbe Stunde später ging es ihm bereits besser. Er hatte seinen Laptop hervorgenommen, balancierte ihn auf den Knien und beschloss, einen Plan für die weitere Vorgehensweise zu entwerfen. In den Tagen seiner Manneskraft hatte er solche Pläne auf kleine Haftnotizen gekritzelt und in seinem Büro auf den Schreibtisch geklebt, aber daran war nicht mehr zu denken.
In den Tagen deiner Manneskraft konntest du noch kleine Zettel vollschreiben, dachte Johansson. Mittlerweile konnte er
mit der rechten Hand nicht einmal mehr leserlich schreiben. Er konnte nur noch seinen Computer mit ihr auf den Knien festhalten, während er mit den Fingern der linken schrieb.
»Maßnahmen«, schrieb Johansson ganz oben auf den Monitor. Dann in die nächste Zeile: »Weitere Ermittlungen über Staffan Leander Nilsson, geboren am 5. Okt. 1960.« Dann, in eine weitere Zeile: »Zusammenstellung einer kleinen Biographie von Nilsson, Staffan Leander.« Als er so weit war, betrat Matilda das Zimmer und schaute demonstrativ auf ihre Armbanduhr.
»Krankengymnastin«, sagte Matilda. »Hoch das Bein.«
»Geben Sie mir noch fünf Minuten«, sagte Johansson. »Personalstärke, einer plus vier«, schrieb er. Ich selbst, dachte Johansson, plus mein bester Freund Bo Jarnebring, mein Schwager Alf Hult, Matilda und Max. Sonst niemand, definitiv keine ehemaligen Kollegen wie Kommissar Hermansson oder sein Schwiegersohn, dem es schwerfallen dürfte, einen kühlen Kopf zu bewahren, falls es brenzlig wird.
Mir standen bei Ermittlungen schon bedeutend schlechtere Leute zur Verfügung, dachte Johansson. Er fuhr den Computer herunter, stellte ihn auf den Tisch und erhob sich vom Sofa.
Als sie nach der Krankengymnastik auf dem Heimweg im Auto saßen, machte Max einen Vorschlag.
»Ich dachte an die Sache mit der Elchjagd, Chef, falls Sie Zeit haben.«
»Ich habe Zeit«, sagte Johansson. Wofür sonst, wenn nicht dafür, dachte er. Einmal abgesehen davon, in einem alten, verjährten Mord herumzustochern, Tabletten zu schlucken und die Tage dessen zu zählen, was bis vor einem Monat ein lebenswertes und sogar sehr angenehmes Leben war.
»Ich habe mich mit einem Büchsenmacher unterhalten«,
sagte Max. »Ihm das mit Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher