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Der sterbende Detektiv - Roman

Der sterbende Detektiv - Roman

Titel: Der sterbende Detektiv - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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erinnern.«
    »Ja«, sagte Johansson und seufzte. Was soll ich sagen?, dachte er. Dass er zu Hause auf dem Hof, lange bevor er in die Schule gekommen war, in der Küche Späne zum Feueranzünden verfertigt hatte, während ihm seine Mutter Kakao mit Schlagsahne und frischgebackene Zimtschnecken vorgesetzt hatte?
    »Dass man für sein Essen arbeiten musste, war okay«, meinte Max, als könnte er Johanssons Gedanken lesen, »aber wir waren die Sklaven des Personals. Wenn sie keinen heimlichen Gewinn einstecken konnten, indem sie uns an reiche Leute aus dem Westen verkauften, dann ließen sie uns eben arbeiten. Lesen und schreiben lernen war nur eine Tarnung für die Geschäfte des Personals.«
    »Das kann nicht leicht gewesen sein«, meinte Johansson. Irgendwas muss ich ja sagen, dachte er. Dass ich selbst neben dem Herd in der Küche gesessen und Späne verfertigt habe, dass ich als Junge sogar Kartoffeln gehäufelt und beim Heu machen geholfen habe.
    »Es gibt sicher Schlimmeres, ich meine Kinder, denen es noch schlechter ergangen ist«, meinte Max achselzuckend. »Das Schlimmste waren auch gar nicht die Dinge, die ich gerade erzählt habe. Es gab Schlimmeres«, sagte Max.
    »Erzählen Sie davon«, erwiderte Johansson.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das hören wollen, Chef«, sagte Max.
    »Das sehen wir dann«, meinte Johansson.
    »Okay.« Max zuckte mit den Achseln. »Ich hatte eine beste Freundin. Sie war ein paar Jahre älter als ich. Wir kamen ungefähr gleichzeitig ins Heim. Sie kam ein paar Monate vor mir. Wir kannten uns von früher, weil wir im selben Viertel
gewohnt hatten. Sie war so etwas wie eine große Schwester für mich. Sie hieß Nadjesta. Nadjesta Nazarova.«
    Das war vielleicht keine so gute Idee, dachte Johansson, als er den Ausdruck in Max’ Augen sah.
    »Erzählen Sie von Nadjesta«, sagte Johansson. »Wenn Sie die Kraft haben.«

84
Montagabend des 16. August 2010
    Nadjesta Nazarova war drei Jahre älter als Max. Sie wohnte in einem Haus auf der anderen Seite des Innenhofs im selben Viertel wie er. Sie teilte sich den Innenhof mit ihm und etwa hundert anderen Kindern in etwa demselben Alter, die in diesem Stadtteil aufwuchsen. Sie wusste nicht, wer ihr Vater war. Die einzigen erwachsenen Männer, die sie kannte, waren diverse Freunde ihrer Mutter. Nicht alle waren gut gewesen. Ihre Mutter war einige Monate vor seiner Großmutter gestorben.
    »Und woran ist sie gestorben?«, fragte Johansson. »Nadjas Mutter?«
    »Sie ist vollkommen betrunken von einem Baugerüst gefallen. War auf der Stelle tot.«
    »Was hatte sie auf einem Baugerüst verloren?«, wollte Johansson wissen.
    »Sie arbeitete.« Max lächelte. »Sie war Maurerin und verputzte gerade eine Fassade. So war das in Russland, Chef.«
    »Unglaublich«, meinte Johansson.
     
    Als Max mit seinen sechs Jahren ins Kinderheim kam, war Nadja, neun Jahre alt, bereits dort.
    »Sie wurde meine große Schwester«, sagte Max. Er nickte
nachdenklich und schien Johansson, der auf seinem Sofa lag, vergessen zu haben.
    »Wir waren in derselben Abteilung, allerdings in unterschiedlichen Sälen, ich in einem für Jungen, sie in einem für Mädchen, aber wir waren fast ständig zusammen. Abends, wenn alle eingeschlafen waren, schlich sie zu mir und umarmte mich. Sie erzählte mir flüsternd Märchen, bis ich eingeschlafen war.«
    »Was geschah dann?«, fragte Johansson, obwohl er sich schon in allen Einzelheiten vorstellen konnte, was dann geschehen war. Er sah es vor sich.
    »Nadja war eine Hübsche«, sagte Max, »obwohl sie schon neun war, wollten viele Leute sie adoptieren.«
    »Aber sie blieb bei Ihnen«, meinte Johansson. Pfui Teufel, dachte er.
    »Klar. Sie hatte mir ja versprochen, sich um mich zu kümmern, bis wir groß genug sein würden, um abzuhauen und in ein eigenes Haus zu ziehen, von dem nur wir wissen würden, wo es lag. Wir wollten heiraten und kleine Kinder bekommen, die wir die ganze Zeit umarmen und küssen wollten. Einmal kam ein Paar aus Schweden, das sie um jeden Preis haben wollte. Sie wirkten in der Tat sehr normal. Er war eine Art Manager, seine Frau war Lehrerin. Sie wohnten in Västerås. Ich bin mir da ziemlich sicher. Es war Västerås. Man stelle sich vor, von allen Orten der Welt: Västerås in Schweden. «
    »Und was geschah?«, fragte Johansson.
    »Ich war mir ziemlich sicher, dass alles zu Ende war. Jetzt ist alles vorbei, dachte ich. Aber da täuschte Nadja einen hysterischen Anfall vor, sie drehte vollkommen durch,

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