Der sterbende Detektiv - Roman
so vorsichtig, als sei er ein kleines Kind.
»Na, drück schon richtig zu, Lars«, forderte Jarnebring ihn auf. »Ich weiß doch, was in deinen Fäusten steckt.«
»Wird schon«, sagte Johansson. Es wird schon, dachte er.
»Du, Jarnis«, sagte Johansson, als sein bester Freund schon fast zur Tür hinaus war. »Vergiss das nächste Mal meine Hose nicht.«
Dann schlief er ein. Auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch gefaltet, wie er das immer getan hatte, bevor der Scheiß mit seinem Kopf geschehen war, der eigentlich nur eine Dreingabe als Dank für sein schlechtes Herz darstellte.
Als ihn seine Frau Pia am Abend besuchte, schlief er bereits tief und fest.
Sie nahm auf dem Stuhl an seinem Bett Platz, saß dort einige Stunden und betrachtete ihn. Ausnahmsweise schnarchte er nicht. Vollkommen still und unbeweglich lag er auf seiner gesunden linken Seite.
Vorsichtig strich sie ihm über sein Gesicht und seinen rechten Arm. Keine Bewegung, auch jetzt nicht, nicht die geringste Veränderung seines Gesichts. Sie empfand eine starke Unruhe, die sie sich nicht erklären konnte.
Er schläft, dachte sie. Er schläft nur, sagte sie sich. Wenn bloß nicht noch etwas passiert, dachte sie.
Dann fuhr sie nach Hause.
26
Freitag, 16. Juli 2010
Ein weiterer Tag in Lars Martin Johanssons neuem Leben. Ein Tag, der damit begann, dass er zwei weitere persönliche Bestleistungen aufstellte. Zum einen gelang es ihm, den kleinen roten Gummiball mit der rechten Hand doppelt so lange zusammenzudrücken wie am Vortag. Zum anderen hob er, ohne zu zögern, seinen schlafenden rechten Arm und berührte mit der Hand die rechte Schulter. Anschließend kribbelte es die ganze Zeit in seinem Arm – und das machte ihm Mut.
»Ich bin stolz auf Sie, Lars«, sagte seine Krankengymnastin. »Das geht ja im Sturmschritt vorwärts.«
»Na ja«, erwiderte Johansson, der in seinem Innersten ein schüchterner und bescheidener Mensch war, »Sturmschritt ist vielleicht etwas übertrieben, aber es geht jedenfalls in die richtige Richtung.«
Seiner Ärztin Ulrika Stenholm war es nicht so gut ergangen wie ihm. Sie sah müde aus, und das war sie auch. Sie hatte Bereitschaft gehabt und nur vier Stunden am Stück geschlafen.
Für die vielen Papiere ihres Vaters hatte sie kaum Zeit gefunden. Etwas hatte sie aber doch getan, sie hatte versucht, die Papiertüten und Kartons auszusortieren, die Unterlagen von 1989, 1988 und 1987 enthielten, wie Johansson ihr das
aufgetragen hatte. Sie hatte sie in eine Ecke gestellt und sich ernsthaft vorgenommen, sie am Wochenende durchzusehen.
»Das macht nichts«, meinte Johansson. »Diese Papiere laufen uns schon nicht weg.«
»Danke«, sagte Frau Dr. Stenholm. »Schön, dass mal jemand Geduld mit mir hat.«
Dann aß er sein Mittagessen, und das war genau wie immer. Er gönnte sich anschließend noch eine Banane, eine halbe Tüte Kirschen und heimlich einen Schokokeks. Gerade als er sich die letzten Krümel aus dem Mundwinkel wischte, tauchte Jarnebring auf. Sie ließen sich Kaffee bringen, eine ganze Kanne, plus eine Kanne heiße Milch, und verbrachten dann den ganzen Nachmittag damit, ihr gemeinsames Anliegen zu diskutieren.
»Was hältst du davon, Lars?«, fragte Jarnebring. »Ich meine, von dem Mord an Yasmine.«
»Was hältst du davon?«, fragte Johansson. »Ich höre zu. Du warst schließlich dabei.«
»Alles ging von Anfang an schief«, sagte Jarnebring. »Wenn ich mir überlege, warum es schiefging, tröste ich mich immer damit, dass es vielleicht so ein Fall war, der uns ohnehin entglitten wäre. Du musst wissen, dass mich diese Sache immer noch innerlich auffrisst.«
»Wie meinst du das? Dass er uns ohnehin entglitten wäre?«
»Weil die Sache ganz einfach zu kompliziert war«, sagte Jarnebring. »Als das Mädchen wieder nach Hause zu ihrer Mutter will, denn dorthin war sie vermutlich unterwegs, jedenfalls habe ich das die ganze Zeit geglaubt, fällt sie so einem Verrückten in die Hände, der sich an Kindern vergreift. Jemanden, dem sie nie zuvor begegnet war, einem Fremden, eine Zufallsbegegnung, und da es sich um eine Ausnahmesituation handelte, gelang es ihm, sie in seine Fänge zu locken.
Ein Fall also, den wir nie aufklären, da er ganz einfach zu schwierig ist«, wiederholte er.
»Verdammt, Bo«, sagte Johansson und seufzte. »Jetzt fange ich langsam an, mir Sorgen um dich zu machen.«
Und du bist allmählich wieder der Alte, dachte Jarnebring.
»Erzähl du mir doch, wie es zuging«,
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