Der sterbende König (German Edition)
sie die Stadt schon erobert? Am liebsten wäre ich geradewegs nach Lundene geritten, um sicherzustellen, dass die Stadt so gut wie möglich verteidigt wurde, aber das hätte bedeutet, die offensichtliche Spur der Verwüstung durch die dänische Armee zu verlassen.
Æthelflæd beobachtete mich, wartete auf eine Antwort, doch ich schwieg. Sechs von uns saßen mitten in diesem zerstörten Dorf in den Sätteln, während meine Männer ihre Pferde an dem Teich tränkten, auf dem die aufgedunsene Leiche trieb. Æthelflæd, Steapa, Finan, Merewalh und Osferth – alle sahen mich an, und ich versuchte mich in denjenigen hineinzuversetzen, der den Oberbefehl über die Dänen führte, wer auch immer es sein mochte. Cnut? Sigurd? Eohric? Nicht einmal das wussten wir.
«Wir folgen diesem Verband», beschloss ich endlich und nickte zu den Rauchspuren am südlichen Himmel.
«Ich sollte mich den Truppen meines Herrn anschließen», sagte Merewalh unlustig.
Æthelflæd lächelte. «Lasst Euch von mir sagen, was mein Ehemann tun wird», sagte sie zu ihm, und der verächtliche Ton, den sie in das Wort Ehemann legte, war ebenso beißend wie der Gestank aus der brennenden Kirche. «Er wird mit seinen Einheiten in Gleawecestre bleiben», fuhr sie fort, «genau, wie er es beim letzten Einmarsch der Dänen getan hat.» Sie sah, dass Merewalh mit sich rang. Er war ein guter Mann, und wie alle guten Männer wollte er seine Eidespflicht erfüllen, die darin bestand, an der Seite seines Herrn zu stehen. Aber er wusste, dass Æthelflæds Worte zutrafen. Sie straffte sich im Sattel. «Mein Ehemann», sagte sie, dieses Mal ohne jegliche Verachtung, «hat mir erlaubt, jedem seiner Gefolgsmänner, die mir unterwegs begegnen, Befehle zu erteilen. Also befehle ich Euch jetzt, bei mir zu bleiben.»
Merewalh wusste, dass sie log. Er sah sie einen Moment lang an, dann nickte er. «Dann werde ich es tun, Herrin.»
«Und was ist mit den Toten?», fragte Osferth und sah zu der Kirche hinüber.
Æthelflæd beugte sich zu ihm und legte ihrem Halbbruder sanft die Hand auf den Arm. «Die Toten müssen ihre Toten begraben», sagte sie.
Osferth wusste, dass keine Zeit war, um den Toten ein christliches Begräbnis zu bereiten. Sie mussten zurückgelassen werden, wie sie waren, doch die Wut schnürte ihm die Kehle zu, und er glitt aus dem Sattel und ging zu der Kirche, aus der immer noch Rauch quoll, während kleine Flammen an den Balken leckten. Er zog zwei verkohlte Holzstücke aus den Trümmern. Eines war etwa fünf Fuß lang, das andere wesentlich kürzer, und dann stöberte er so lange zwischen den niedergebrannten Hütten herum, bis er ein Stück Lederkordel fand, das vielleicht einmal ein Gürtel war, und band damit die beiden Holzstücke zusammen. Er machte ein Kreuz daraus. «Mit Eurer Erlaubnis, Herr», sagte er zu mir. «Ich möchte mein eigenes Feldzeichen haben.»
«Der Sohn eines Königs sollte ein Banner haben», sagte ich.
Er rammte das Langholz des Kreuzes so fest in die Erde, dass Asche emporstäubte und das Querstück kippte und leicht schief herunterhing. Es hätte zum Lachen sein können, wäre er nicht von so bitterem, ehrlichen Zorn erfüllt gewesen. «Das ist mein Feldzeichen», sagte er und winkte seinen Diener herbei, einen Taubstummen namens Hwit, damit er das Kreuz trug.
Wir folgten den Hufspuren nach Süden, durch weitere niedergebrannte Dörfer, vorbei an einem großen Palas, der zu Asche und schwarzem Balkenwerk in sich zusammengesunken war, und vorbei an Feldern, auf denen das Milchvieh jämmerlich blökte, weil es gemolken werden musste. Wenn die Dänen Kühe zurückließen, mussten sie schon eine riesenhafte Herde haben, zu groß, um damit fertigzuwerden, und sie mussten auch Frauen und Kinder für den Sklavenmarkt mit sich führen. Und dadurch wurden sie behindert. Aus einer schnellen, gefährlichen, berittenen Armee blutrünstiger Räuber war ein schleppender Zug von Gefangenen, Rinder- und Schafherden geworden. Sie schickten sicher weiterhin Trupps zum Plündern aus, doch jeder dieser Trupps brachte noch mehr Beute und verlangsamte damit weiter den Hauptverband.
Sie hatten die Temes überquert. Das stellten wir am nächsten Tag fest, als wir Cracgelad erreichten, wo ich Aldhelm, einen von Æthelreds Männern, getötet hatte. Die kleine Stadt war nun zur Wehrstadt ausgebaut und hatte eine gemauerte Wallanlage, nicht länger eine aus Erde und Holz. Für diesen Festungsbau hatte Æthelflæd gesorgt. Sie hatte den
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