Der Stern des Untergangs
schüttelte ihn, und ein plötzlicher Ruck warf ihn halb von der Liege. Sonja fing ihn auf. Sie legte ihn sanft zurück und blickte besorgt in sein eingefallenes Gesicht. Eine heftige Brise fächelte sein schweißfeuchtes Haar – dann entspannte sich seine Hand, die Sonjas noch gehalten hatte, sank herab, sein Kopf nickte flüchtig und fiel zur Seite. Mit zitternden Fingern drückte Sonja ihm die Augen zu. Die Soldaten, die seine Liege gestützt hatten, setzten sie vorsichtig wieder auf den Boden zurück.
Sonja wandte das Gesicht Daron zu und blickte ihn durch einen Tränenschleier an. Sie bemerkte, dass auch seine Augen feucht waren.
Ban-Itos trat heran. Er legte eine Hand auf Bo-ugans reglose Brust und betete gemessen:
»Irdischer, gehe jetzt zu deinen Göttern und lehre sie, was du gelernt hast. Leide nicht länger, und möge dein Geist von nun an nur noch Licht und Güte kennen. Atme, o Geist, und kehre in die Vollkommenheit ein. Wisse, dass du ewig bist, dass deine jetzige Freiheit deine Belohnung ist und ein Versprechen deiner künftigen irdischen Leben.« Er blickte Sonja an. »Sprich seinen Namen!«
Sie verstand ihn nicht, tat jedoch wie geheißen. »Bo-ugan.«
»Sprich auch du seinen Namen, Wanderer«, forderte er nunmehr Daron auf.
»Bo-ugan …«
Als nächsten wandte er sich an Iatos: »Mann der Erde, ruf seinen Namen.«
»Bo-ugan …«
»Nun ist er frei. Möge er eine Freude der Götter sein und sein Geist von nun an nur noch Licht kennen.«
Doch Sonja, die sich an die letzten Worte des Sterbenden erinnerte, fragte sich: Ja, Bo-ugan, wer bin ich? Wer bin ich? Wer bin ich?
Das dreitausend Kopf starke Heer übernahm die Stadt, die nach ihrem Hetman Bougankad genannt worden war und die nun mit ihres Führers Asche getauft wurde. In dieser Nacht versammelte Sonja alle auf dem Hauptplatz. Im Schein Hunderter von Fackeln stand sie auf einer in aller Eile grob gezimmerten Plattform und sprach zu ihnen, flankiert von Daron zur einen und Ban-Itos zur anderen Seite.
»Am Morgen brechen wir auf und ziehen gegen die Herren der Zikkurat«, erklärte sie.
Dann wandte Ban-Itos sich an die Krieger und erzählte ihnen von der Stufenpyramide – ihrer Errichtung und ihren Geheimnissen, soweit er sie kannte. »Daron und ich verfügen über den Zauber, der euch helfen kann«, versicherte er ihnen. »Doch der Hauptzweck unseres Zaubers ist, das Böse zu vernichten, über das Thotas herrscht und dessen Ursprung im höchsten Teil des Tempels zu finden ist. Damit wir an Thotas und dieses Böse herankommen, müssen eure Schwerter uns einen Weg schlagen.
Ihr wollt Geld? Gold und Silber? Ihr werdet es im Tempel finden und braucht es euch bloß zu nehmen. Schätze über Schätze wurden über Generationen hinweg von der Welt ältestem und mächtigstem Orden der Zauberer zusammengetragen und dort gehortet. Doch dürft ihr keinen Augenblick vergessen, dass ihr gegen Schwarze Magie kämpft, also seid jederzeit bereit, rasch zuzuschlagen und keinem zu trauen. Die Leichen von Gefallenen müssen verbrannt oder geköpft werden, damit sie nicht wiederbelebt werden können.«
»Wir werden uns in vier Truppen aufteilen«, ergriff Sonja nun wieder das Wort. »Den genauen Einsatz erkläre ich euch am Morgen. Und nun seht zu, dass ihr euch ausschlaft und für den morgigen Kampf gut gerüstet seid!«
Sie zog sich in Bo-ugans Haus zurück und nahm die vier Führer mit, die sie persönlich aus den Söldnertruppen ausgewählt hatte. Mit ihnen sowie mit Iatos, Ban-Itos und Daron besprach sie anhand von Bo-ugans alter Karte die Taktik.
Es war bereits Mitternacht, als sie ihre Unterführer anwies, sich auszuruhen, ehe der Sonnenaufgang sie zur Schlacht rief. Sie selbst gönnte sich erst später Schlaf.
»Seid stark, Rote Sonja. Die Götter sind mit Euch«, ermutigte Ban-Itos sie.
»Wirklich?« Sie lächelte ihn müde an. »Nun … Ich nehme an, früher oder später werden die Götter sich wohl entschließen, mir beizustehen. Irgendwann dürften sie mir doch gewogen sein.«
Ban-Itos zog sich in ein Gemach im Haus zurück, wo er ein Bett gefunden hatte. Sonja blickte ihm nach und fragte sich, wer von ihnen morgen wohl fallen würde.
Iatos trat auf sie zu und nahm ihre Hände. Lächelnd erklärte er ihr. »Ich möchte mitkommen …«
»Nein«, lehnte sie ab. »Das geht nicht. Jemand muss hier bleiben. Du und deine Männer seid geschwächt und krank. Ihr habt euren Teil bereits beigetragen. Bitte, Iatos.«
Seine Augen verrieten,
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