Der Stern von Yucatan
bedeutete. Dann: “Sie wollen, dass ich nach unten gehe? Unter Deck?” In diesem winzigen Raum eingeschlossen zu sein würde sie glatt ersticken.
“Sie haben’s erfasst.” Als verstehe er ihren Einwand, fügte er hinzu: “Ich mache so schnell ich kann.”
“Wie lange wird das dauern?” Sie hoffte, es besser zu ertragen, wenn sie eine ungefähre Vorstellung von der Dauer ihrer Tortur hatte. Sie spürte jetzt schon die brütende, sie erstickende Hitze.
“Wenn alles glatt geht, müsste ich in vierzig Minuten zurück sein.”
“Vierzig Minuten!”, explodierte sie. Herrgott, wie lange brauchte der Mensch denn, das Notwendigste einzukaufen?
“Möglicherweise ein bisschen länger.”
Sie verkniff sich eine Erwiderung. Er machte das absichtlich, sie wusste es. Er wollte sie für ihre Notlage strafen. Je mehr sie einwandte, desto mehr Zeit würde er brauchen. Sie traute es ihm zu.
Lange bevor sie das Ufer erreichten, drosselte er bereits die Maschine. “Gehen Sie nach unten”, sagte er streng.
“Aber …” Doch Lorraine schloss den Mund, anstatt ihren Protest zu äußern. Es war sinnlos, darauf hinzuweisen, dass sie noch gar nicht in Sichtweite des Dorfes waren und niemand sie sehen konnte. Jeder Einspruch wäre nur Anlass für noch mehr Ärger mit Jack.
Stumm stieg sie die Stufen hinunter und schlug die Tür zu. Die Hitze sprang sie an wie ein Raubtier. Augenblicklich trat ihr Schweiß auf die Stirn.
Jack kam die Stufen herunter und öffnete die Tür. “Hören Sie mir gut zu”, sagte er eindringlich. “Sobald ich angelegt habe, werde ich diese Türen zumachen. Ich möchte nicht, dass Sie herauskommen, bis ich Ihnen sage, dass es sicher ist. Verstanden?”
Sie antwortete nicht.
“Verstanden?”, wiederholte er.
“Ja”, erwiderte sie leise.
“Gut.”
Fünf Minuten später schaltete er den Motor aus. Sie hörte Schritte auf dem Deck, und dann stieß das Boot gegen die aufgehängten Autoreifen am Anlegeplatz. Es folgten ein paar schnell gesprochene Sätze auf Spanisch zwischen Jack und jemand auf dem Pier. Es schien ein freundlicher Wortwechsel zu sein. Das Boot schwankte leicht, als Jack an Land sprang.
Bei der unerträglichen Hitze hatte Lorraine kaum die Kraft sich aufrecht zu halten. Tisch und Bänke waren mit Zeitungen und Kleidungsstücken übersät, die sie zusammenlegte und in Schubladen verstaute. Nicht dass sie hier aufräumen wollte, aber sie brauchte den Platz, um sich hinzulegen. Überall lagen Bücher verstreut. Gelangweilt sah sie sich einige Titel an und schüttelte den Kopf. Segelhandbücher. Waffentechnik. Die neuesten Waffen. Militärgeschichte. Fast jeder Lesestoff hatte etwas mit Soldatentum und Tod zu tun. Nach seiner Lektüre zu urteilen, könnte er ein Berufskiller sein. Es sah so aus, als wäre sie vom Regen in die Traufe gekommen.
Lorraine fragte sich, ob ihr Vater von Jacks Vorliebe für Krieg und Tod wusste. Falls ja, hätte er Jack dann gebeten, sie außer Landes zu bringen? Sie bezweifelte das.
Vierzig Minuten vergingen. Die längsten vierzig Minuten ihres Lebens. Sie befeuchtete einen Lappen und betupfte Gesicht und Handgelenke. Zehn Minuten später knöpfte sie sich ihr Blusentop auf und fächelte sich mit einem Soldatenmagazin Luft zu. Jack war jetzt schon fünfzig Minuten weg. Dann und wann hörte sie Stimmen. Ihre Hoffnung wuchs, wurde aber jedes Mal enttäuscht, wenn sie sich wieder entfernten. Wellen klatschten gegen die Bordwand des Bootes, das sich sanft auf den geschützten Wassern der Marina wiegte.
Gegen ein Uhr hörte sie leise Musik herüberwehen. Die musste aus einer Cantina an der Promenade kommen. Ihr leerer Magen ließ sich nicht mehr ignorieren. Außerdem kreisten ihre Gedanken nur noch darum, wie überhitzt, elend und hungrig sie sich fühlte. Visionen salziger Tortilla-Chips und frischer Salsa quälten sie. Serviert mit einer Margarita mit Salzkruste auf dem Glasrand. Oder war das eher texanisch-mexikanisch als mexikanisch? Sie wusste es nicht genau. Zweifellos gab es in dieser Cantina jedoch etwas zu essen. Vielleicht so ein köstliches Gericht aus Shrimps und Knoblauch, wie es die … Lebensgefährtin ihres Vaters zubereitet hatte.
Nein, über die beiden wollte sie nicht nachdenken. Stattdessen stellte sie sich Hühnchen-Fajitas mit vielen Zwiebeln und Pfeffer vor.
Die Musik wurde lauter. Man brauchte nicht viel Fantasie, sich Jack in der Cantina vorzustellen, wie er sich bei einem umfangreichen Lunch Zeit ließ und ein kühles Bier
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