Der Stern von Yucatan
obwohl er das nicht gezeigt hatte.
Dann dachte er an Pucuro, die hässliche kleine Stadt mit dem hässlichen Anlegesteg. Oder besser gesagt, ohne Anlegesteg. Bei der Vorstellung musste er lachen. Es tat ihm nur leid, dass er die Szene nicht gesehen hatte. Ein paar Leute drehten sich nach ihm um, neugierig, was er so lustig fand. Seine letzte Flasche mit feinem altem Scotch war für medizinische Zwecke draufgegangen, als Lorraine ihn gewissenhaft verarztet und gesund gepflegt hatte. Er erinnerte sich an ihre vielen Unterhaltungen über das Leben, über ihre Erfahrungen, über Filme, und er erinnerte sich an die Nacht, als sie beieinander gelegen und die Mondreflektionen auf dem Wasser betrachtet hatten.
Was Lorraine ihn während ihrer gemeinsamen Zeit gelehrt hatte, war, dass er die Fähigkeit zur Offenheit gegenüber anderen besaß. Er hatte ihr mehr über sein Leben erzählt als irgendwem sonst.
Sein Schmerz über die Trennung war heftig. Er tat weh wie eine körperliche Wunde. Lorraine zu verlassen war das Schwierigste gewesen, das er je getan hatte. Er hatte sich verändert und würde nie wieder der Mann werden, der er vorher war. Aber was blieb ihm noch ohne Lorraine und ohne seine alte Lebensweise, zu der er nicht zurückkehren konnte?
Er hob das Glas, starrte in die braune Flüssigkeit und sehnte sich plötzlich nach Vergessen. Hier in der Straßenbar zu sitzen, in der Nähe ihres Hotels, machte Gedanken an sie unausweichlich.
Er trank sein Bier und beschloss, sich auf die Suche nach einem Taxi zu begeben, um in sein Hotel zu fahren. Dabei kam er an einem Telefon vorbei, blieb nach zwei Schritten stehen und kehrte um.
Er rief die Vermittlung an und ließ den Anruf über seine Kreditkarte abbuchen. Dann wartete er auf den Anschluss in Boothill, Texas.
Beim dritten Klingelzeichen meldete sich die Frau seines besten Freundes. “Jack, bist du das?”, rief Letty.
Die Verbindung war nicht die Beste. “Ja, ich bin’s. Ist Murphy in der Nähe?”
“Er impft Kälber, aber hör mir zu, ich freue mich, dass du anrufst. Ein Thomas Dancy hat heute telefonisch nach dir gefragt.”
“Thomas?”, wiederholte er verwundert. “Ich habe gestern Abend mit ihm gesprochen.” Er erinnerte sich jedoch nicht, Thomas eine Nummer oder einen Ort genannt zu haben, wo er zu erreichen war. Er hatte nur den Namen von Lorraines Hotel erwähnt, aber nicht, wo er selbst wohnte. Thomas wäre allerdings durchaus in der Lage gewesen, Murphy ausfindig zu machen, da er mehrfach von ihm und seiner Viehfarm in den Texas Hills erzählt hatte.
“Was höre ich da, du hast seine Tochter aus Mexiko herausgebracht?” Ein Kind weinte im Hintergrund. Ihr drittes in vier Jahren.
“Davon erzähle ich dir später.”
“Kommst du uns besuchen? Murphy würde dich gerne sehen und ich auch.”
“Ich denke darüber nach”, versprach er. Eines war sicher, er musste Mexiko vorübergehend verlassen, um Trennungsschmerz und Erinnerungen loszuwerden und sein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden. “Gib den Kindern einen Kuss von mir”, bat er gespielt munter.
“Warte noch eine Minute”, sagte Letty. “Ich habe noch mehr Neuigkeiten für dich.”
Er hörte ein Klacken, als sie den Hörer beiseite legte. Augenblicklich hörte das Baby auf zu schreien. Neuigkeiten? Die letzte Neuigkeit, die Letty ihm erzählt hatte, handelte von der dritten Erweiterung ihrer Familie.
“Bist du noch da?”, fragte sie, als sie wieder an den Apparat kam.
“Ich bin hier.” Er wollte schon scherzen, dass es ihn fünf Dollar pro Minute kostete, wenn sie das Baby ein Bäuerchen machen ließ. In Wahrheit war es ihm egal, auch wenn es das Zehnfache gekostet hätte. Letty und Murphy standen ihm so nahe wie eine richtige Familie, und im Augenblick brauchte er sie. Er brauchte die Gewissheit, dass verliebte Paare in dieser Welt ihr Glück finden konnten.
“Okay”, fuhr Letty fort, “kommen wir auf den Anruf von deinem Freund Nancy zurück …”
“Dancy”, korrigierte er.
“Egal, Hauptsache, du weißt, wen ich meine. Er war ziemlich besorgt wegen seiner Tochter.”
“Es gibt nichts, worüber er sich Sorgen machen müsste.”
“Kennst du jemand mit Namen Gary … verflixt, ich erinnere mich nicht an den Nachnamen. Jedenfalls steht er in irgendeiner Verbindung zur Tochter dieses Dancy. Ich glaube nicht, dass er mir gesagt hat, in welcher. Ist vielleicht nicht wichtig.”
Jack merkte auf. “Ich weiß, wen du meinst. Was ist mit ihm?”
Ihre Stimme
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