Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
gurgelte und die Wiesen flutete, hatte Rantzau sich entschlossen, auf die Heide zurückzukehren. Er spürte, dass es auch Oss an diesen Ort zurückziehen würde. Dass er wusste, was ihn antrieb. Ihrer beider Leben war unauflösbar miteinander verbunden. Und wie von den Rädern des Schicksals getrieben, rasten sie aufeinander zu.
Unter seinen wilden Flankentritten tat sein Pferd einen Satz.
»Auf Männer«, schrie er in den Wind. »Lasst uns das Lumpenpack töten!«
DREI
Seine Augen brannten. Müde rieb Olearius sich die Lider und lehnte sich zurück. Für einen Moment verschwammen die Buchstaben auf dem Papier zu fremden Zeichen. Lebendige Wesen, die sich zu züngelnden Schlangen aufrichteten, fauchten ihn an. Erschrocken riss er die Augen auf, blinzelte an gegen den Schlaf. Noch eine Nacht, dachte Olearius. Nur noch diese eine Nacht. Dann wäre es geschafft.
Wieder griff er zum Federkiel und tunkte die Spitze in die schwarze Tinte. Die Buchstaben glitten auf das Papier, wo sie sich verschränkten und zu neuen, nun freundlicheren Gestalten heranwuchsen. Er hörte ihre Stimmchen, lauschte, was sie ihm zu erzählen hatten: »Man kann von fremden Völkern allzeit, wenn man nur will, etwas Gutes lernen«, wisperten ihm die Wesen zu, die seinem Kopf entsprungen waren. »Sind ihre Sitten und Gebräuche tugendhaft, so folgt man ihnen. Sind sie lasterhaft, soll man Abscheu empfinden. Und sich und sein Vaterland glückseliger als jene schätzen. Also kann man auch von barbarischen und bösen Leuten lernen.« Atemlos folgte seine Hand dem Flüsterton seiner Gedanken, er schrieb und schrieb, so wie er auch den Winter hindurch hier gesessen und weltvergessen vor sich hingearbeitet hatte.
Ja, es war gut, dachte er und für einen Moment blieb sein Blick auf dem zweiten Tisch mit den staubigen Globusplänen hängen. Die Bücher und Berechnungen trugen das Zeichen des Scheiterns, vor Monaten hatte er sie zum letzten Mal aufgeschlagen. Und längst hatte er auch das Gespinst der miteinander verwobenen Sterne wieder von der Wand gerissen.
Olearius seufzte ergeben, er schlug die Augen nieder. Warum ließ er sich auch ablenken? Schnell konzentrierte er sich wieder auf das Schreiben.
Ja, es war gut. Die Feder kratzte über das Papier, seine Schrift war flüssig und geübt, die Buchstaben zwinkerten ihm verschwörerisch zu. Die Vollendung seiner Reisebeschreibung stand kurz bevor, auf dem ersten Blatt, das Catharina ihm über den Winter gezeichnet hatte, las er ihren eindrucksvollen Titel: »Oft begehrte Beschreibung der neuen Orientalischen Reise«. Ein Vorwort noch, die Verneigung vor dem Herzog und der Herzogin und ein Dankgebet an den allmächtigen Gott für seine vielfache Hilfe und Führung durch die Welt und für die gesunde Heimkehr fehlten sowie der Abschluss des letzten Kapitels, das er in dieser Nacht zu Ende bringen wollte.
Ja, es war gut. Wirklich gut. Da der Ausgang der Expedition ein schrecklicher Fehlschlag gewesen war, hatte Olearius die handelspolitischen und diplomatischen Ziele der Gesandtschaft hinter wolkigen Formulierungen verschleiert. Der Akzent des Berichtes lag auf dem Ereignis der Reise selbst.
Während er über den letzten Seiten saß, stand ihm wieder Brüggemanns Gesicht vor Augen, sein hitziges Temperament, die Haltlosigkeit seiner Versprechungen. Unterwegs hatte er sich auf seine Beobachtungen und kartografischen Berechnungen konzentriert, um nicht vor Ärger und Scham über das Verhalten des Hamburgers alles hinzuwerfen. Der Forscherdrang hatte Olearius vorangetrieben so wie Macht und Geltungssucht den anderen geleitet hatten. Und so war er sicher, endlich eine exakte Darstellung des Unterlaufs der Wolga sowie eine realistische Beschreibung und Zeichnung des Kaspischen Meeres vorlegen zu können. Seit Ptolemäus war man der Meinung gewesen, dass sich die Wasserfläche der Kaspi-See als ein von West nach Ost verlaufendes Oval ausdehnte. Olearius hatte die Form in Nord-Süd-Richtung berichtigt. Und kein noch so gelehrter Protest würde ihn zu einer Umkehr bewegen können – er hatte das Meer schließlich selbst befahren und die Vermessung der Wasserflächen mit seinen Gehilfen vorgenommen.
»Ihr werdet mit Eurem Bericht in die Geschichte eingehen«, hatte der Herzog sich nach der ersten Lektüre einiger Kapitel beeindruckt geäußert. Sobald ein Abschnitt des Buches fertiggestellt war, hatte Catharina diesen in ihrer schönsten Gelehrtenschrift, die sie inzwischen trefflich zu imitieren wusste,
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