Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Eisen, Holz, Kupfer und Leinwand gefertigt, beidseitig bemalt, außen mit der Anschauung der Erde und innen mit der Vorstellung des unendlichen Himmelszelts, blitzte vor seinem inneren Auge auf. Rücken an Rücken – und damit symbolisch in einer unauflösbaren Verbindung und Abhängigkeit voneinander – würden Erde und Kosmos, Kosmos und Erde, erlebbar sein.
Der Herzog und seine Besucher könnten in dieser Kugel Platz nehmen und damit in das Innere der Erde, ja, in ihr Zentrum vordringen, und dann die Dimension der Weite, der Gestirne, der Tierkreiszeichen erahnen und zugleich erfahren. Vielleicht würde es sogar gelingen, den Sternenhimmel, Sonne und Mond samt ihrer Bewegungen zu simulieren, so wie sie von der Erde aus zu sehen waren?
Weitere Gedankenblitze zuckten durch Olearius’ Geist, und es kam ihm vor, als öffneten sich alle Schränke und Schubladen in seinem Hirn, um das gesammelte Wissen seines akademischen Lebens auf einmal herausströmen zu lassen. Ein Strudel eng beschriebener Blätter, Formeln und Karten schwirrte vor seinen Augen, als ob ein Wirbelsturm durch die Schreibstube eines Gelehrten führe. Überwältigt schloss er die Augen, im nächsten Moment musste er sich eine Träne von der Wange wischen, die sich vorwitzig ihren Weg bahnen wollte.
Olearius dachte, dass dieses wohl einmalige Mirakel auch deshalb zu einem fantastischen Erlebnis geraten könnte, weil darin jedem Besucher das Wesen der Unendlichkeit tatsächlich begegnen würde. Weil die Kugel sich um die innen versammelten Menschen drehen könnte. Und für die draußen stehenden Betrachter wäre sie ähnlich faszinierend: Erde wie Kosmos würden sich bewegen und verändern. Die Zuschauer begriffen diesen ewigen Prozess und würden von ihm ergriffen. Es war ein geniales Vorhaben – und ebenso maßlos. Ein geradezu teuflisches Werk von himmlischem Glanz.
Ein Strom floss durch seinen Körper, Nervenimpulse reisten aus der Vergangenheit in die Gegenwart, und für einen Augenblick sah Olearius sich selbst von ganz weit oben, erhaben für einen Moment, als sei ihm ein Blick auf die Majestät des menschlichen Lebens und der göttlichen Schöpfung vergönnt.
»Ich werde alles dafür tun, dass Eure Wünsche Wirklichkeit werden«, hörte Olearius sich heiser antworten.
Herzog Friedrich nickte und streckte ihm – wie von Gleich zu Gleich – seine Hand entgegen. Verdutzt schlug Olearius ein, er wusste, dass er in diesem Moment den Pakt zu einem tollkühnen, geheimen Plan besiegelte. Ein Weltwunder würde entstehen – hier an diesem Ort.
»Ein Welttheater und eine Himmelskathedrale … mein lieber Mathematicus, ich bin sehr glücklich«, wisperte der Herzog.
Im Hintergrund räusperte Kielmann sich vernehmlich, man hatte dem Kanzler noch immer keinen Platz an der herzoglichen Tafel zugewiesen. Schließlich drängte er sich missmutig zwischen die herzogliche Familie, um nicht an den Tafeln der Ritter Platz nehmen zu müssen.
DREIZEHN
Das Bankett zog sich in die Länge. Immer wieder tischten die Diener neue Platten auf, die sich unter der Last der Delikatessen bogen. Selbst der Herzog ließ es sich nicht nehmen, von jedem Gang zu kosten.
Eigentlich hatte Christian Rantzau geplant, sich nach dem Essen mit seinen Männern auf den Rückweg nach Breitenburg zu machen. Doch Unruhe quälte ihn. Noch immer ließ ihn sein nächtlicher Traum nicht los, das Marienbild hatte sich wie ein Brandmal in seine Seele eingefressen. Und dann dieses seltsame Kind, das ihnen auf der Heide begegnet war. Sein fremdes Wesen, der verstörende Blick …
Auf dem Weg nach Gottorf hatte der Junge keinen Ton mehr von sich gegeben. Rantzau hatte das Gefühl, dass die Ochsen ihn auf eine rätselhafte Weise beruhigt hatten, denn als die Gruppe wieder zur Herde gestoßen war, hatte er beobachtet, wie das Kind sich entspannte. Arme und Beine lösten sich aus der Verkrampfung und die eben noch leeren Augen schienen mit den Tieren zu sprechen und einen Punkt im Nirgendwo zu fixieren. Christian hatte gedacht, dass der Junge sich in sein Schicksal gefügt hatte. Und so hatte er den Jungen beruhigt bei den Ochsen in einem Verschlag der herzoglichen Ställe zurückgelassen. Aus irgendeinem Grund war er sicher, dass das Kind nicht davonlaufen würde.
Rantzau seufzte und verlangte mehr Wein. Es musste bereits auf den frühen Abend zugehen, Schatten krochen aus den Gärten heran, und er sah nun ein, dass es keinen Sinn machte, Schloss Gottorf nach dem Fest zu verlassen. Die
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