Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Augenwinkeln heraus sah Olearius, wie sich die Gäste über ihre Silberteller beugten. Diener liefen zwischen den Tischreihen hin und her und versorgten die Tafelnden mit Delikatessen und noch mehr Wein. Die stickige Luft und Hitze sorgten dafür, dass die Ritter über die Maßen durstig waren. Schon rötete der Wein die Gesichter der Männer und für einen winzigen, aberwitzigen Moment meinte Olearius, ein Spalier sich wiegender Klatschmohnblüten vor sich zu sehen.
Herzog Friedrich fuhr fort: »In einigen Jahren wird sich dort ein prächtiges, großes Lusthaus erheben, die Friedrichsburg. Und in ihrem Inneren …«, der Herzog hielt inne, als wollte er seine Vision noch einmal einer Prüfung unterziehen. »In ihrem Inneren soll ein riesiger, begehbarer Erd- und Himmelsglobus ausgestellt sein – kein bloßes geografisches Gerät, sondern ein umfassendes Abbild unseres Wissens von der Welt und der göttlichen Schöpfung. Gleichzeitig soll mir das Globushaus als Belvedere und Speisesaal, als Pomeranzen- und Vogelhaus dienen.« Atemlos blickte er Olearius in die Augen. »Begreift Ihr, mein lieber Mathematicus?«
Olearius nickte bedächtig, seine Gedanken versuchten, das Gehörte in verständliche Bilder umzusetzen. Das Neue Werk sollte also nicht allein das fürstliche Streben nach Symmetrie und Harmonie versinnbildlichen. Dem Herzog schwebte vielmehr ein philosophisches Gesamtkonzept vor. Und die Krönung wäre der Riesenglobus, in dem das Wissen von Erde und Kosmos in allumfassender Weise dargestellt würde.
Ein Miraculum … Doch wie könnte so etwas funktionieren? Olearius strengte sich an, über alle Grenzen hinweg zu denken. Der größte ihm bekannte Erdglobus war kaum größer als ein wohl geratener Kürbis. Und zu dem Erdglobus wollte Friedrich auch noch einen Himmelsglobus, obwohl sich ein solcher als Summe aller Fixsterne doch nur auf eine Kugelfläche projiziert denken ließ!
Zweifelnd fragte der Gelehrte nach, wie groß der Herzog sich den Neuwerk-Globus annähernd dachte.
Selbstbewusst blickte Herzog Friedrich ihn an. »Nach Möglichkeit sollte eine Gesellschaft von zwölf Personen darin Platz nehmen können. Nehmt Euch den Herkules als Vorbild.«
Olearius unterdrückte ein Keuchen. Der Herzog hatte den Verstand verloren! Das waren gigantische Dimensionen. Ein Globus dieser Größe sprengte jedes Maß, und seine Konstruktion würde neben geografischen und astronomischen Kenntnissen vor allem immenses handwerkliches Können und tollkühnen Erfindergeist erfordern. War er der Richtige dafür? Verstand er sich nicht vielmehr als einen Mann des Wortes und des Buches? Und mehr noch: Ein ebenso großartiges wie tollkühnes Projekt in derart unsicheren Zeiten zu realisieren – war das möglich? Schon sah Olearius den entsetzten Blick des Kanzlers, die Ablehnung der Ritterschaft.
»Ich werde Euch freie Hand bei der Planung lassen und alle notwendigen Mittel bereitstellen.« Friedrichs Augen glänzten, er bemerkte nicht, dass im hinteren Teil des Pavillons ein lärmendes Durcheinander herrschte. Einige Gäste stritten heiser, welcher Herrensitz des Landes den prächtigsten Garten vorweisen konnte. Die Ströme von Wein, die immer noch flossen, waren nicht geeignet, die aufgeregten Gemüter zu kühlen und den Brand zu löschen. Allard knurrte und fletschte die Zähne.
»Ein Welttheater und eine Himmelskathedrale«, murmelte Olearius. Wer sollte diesen vermessenen Traum bezahlen? Er versuchte sich vorzustellen, wie die Ritter auf die Pläne des Herzogs reagierten. Würden sie ihm die Kredite gewähren, die er gewiss benötigte?
»Wenn Euch daneben noch Zeit bleibt, könnt Ihr natürlich auch Eure Erkenntnisse über die Persische Reise veröffentlichen und meine Bibliothek und die Kunstkammer vervollständigen.«
Olearius schluckte, seine Zunge klebte vor Aufregung trocken am Gaumen. Etwas Besonderes sollte entstehen, etwas Unvorstellbares: ein Abbild der Erdkugel und dazu eine Himmelskugel. »Himmel und Erde als begehbarer Raum«, murmelte er. Sollte das Vorhaben gelingen, würde Schloss Gottorf in ganz Europa Berühmtheit erlangen – und der Schöpfer dieses Wunderwerkes ebenfalls.
Plötzlich sah Olearius die Friedrichsburg vor sich: Ein exotischer Bau nach orientalischer Fasson entstand in seiner Fantasie, ganz so, wie er die persischen Paläste auf seiner Reise kennengelernt hatte. Und ihr kostbarstes Geheimnis bildete eben jener Riesenglobus, den der Fürst sich wünschte. Eine Kugel, vielleicht aus
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