Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
näher kommen hörte, sprang er auf und lief geduckt davon.
ACHT
Christian Rantzau hatte seinen Gast durch das Schloss und die Stallungen geführt. Er hatte ihm die Schätze seiner Familie gezeigt, das, was davon noch übrig war, den Reichtum an Vieh und Leibeigenen. Dann hatten sie die Baustelle der Schlosskapelle besichtigt. Während der Plünderungen war die Kapelle fast vollständig zerstört worden. Nun ließ Rantzau den Kirchensaal wieder aufbauen, außerdem plante er einen Treppenturm, der dem Saal später vorangestellt werden sollte.
Im Inneren der Kapelle war bereits das Sternengewölbe zu erkennen, Rankenwerk schmückte den Himmel. Kielmann lobte die hohen Spitzbogenfenster und fuhr mit den Händen über die farbigen Glasbilder.
»Der Altar stammt noch von meinem Großvater.« Stolz wies Rantzau auf die westliche Stirnwand des Saals, wo sich dieser – ganz gegen die Tradition – befand.
»Die Auferstehung.« Der Kanzler hatte das Motiv des Altarbildes sofort erkannt. »Ein gutes Omen, Ritter Rantzau.«
Rantzau nickte. Nachdem er auf die Breitenburg zurückgekehrt war, war es ihm wie ein Wunder erschienen, dass ausgerechnet dieses Bild unversehrt geblieben war. Damals hatte er den Entschluss gefasst, die Breitenburg nicht aufzugeben.
»Und die Gärten?« Während Rantzau noch versunken vor dem Altarbild stand, zog es Kielmann zurück auf den Hof. Bratengerüche wehten von der Küche über den Platz, für den Abend ließ Christian Rantzau ein Festmahl vorbereiten. Wie ein Jagdhund nahm der Kanzler Witterung auf. Seine Nasenflügel zitterten, mit den Händen strich er über seinen Bauch. Offensichtlich verlangte nun auch sein Magen nach Unterhaltung.
»Wenn Ihr wünscht, können wir zurückgehen.« Höflich wies Rantzau auf das Schlossportal.
»Nein, nein.« Kielmann zeigte auf seine Nase. »Das Fleisch braucht noch eine halbe Stunde, ich täusche mich nie. Wir haben noch etwas Zeit. Und vielleicht findet sich in den Gärten ja ein winziges Amuse-Gueule , ein Pfläumchen oder anderes Früchtchen.« Der Kanzler zwinkerte verschwörerisch und Rantzau dachte, dass er Kielmann bisher in vollkommen falschem Licht gesehen hatte. Plötzlich genoss er dessen Gesellschaft, den durchtriebenen Geist und verschlagenen Charakter. Die Gier des anderen nach Fülle und Leben, die auch ihn vorantrieb. Er würde seine Männer später anweisen, dem Kanzler ein Mädchen zuzuführen. Für sich hatte er Jonna im Sinn. Er würde sie selbst aus ihrer Hütte holen und dabei die Hilflosigkeit und Erniedrigung ihres Mannes genießen. Er war der Herr auf Breitenburg – und es schadete nicht, die Bauern jeden Tag daran zu erinnern.
Tatsächlich pflückte Kielmann im Küchengarten einige Mirabellen und biss genüsslich hinein. Der Saft der reifen Früchte rann ihm übers Kinn und tropfte auf seine Jacke. Gut gelaunt ließ er sich die kaum noch sichtbaren Strukturen des alten Gartens erläutern, immer weiter entfernten sie sich von der Breitenburg bis hin zu den Fischteichen. Rantzau war lange nicht mehr in diesem Teil seines Grundstücks gewesen, doch als Junge hatte er dort noch selbst geangelt. In Erinnerungen versunken erzählte er von einem Hecht, den er als Zwölfjähriger aus einem der Teiche gefischt hatte. Der Raubfisch war so lang wie ein Ruder und so schwer wie drei Gänse gewesen. Im Magen des Tieres hatte man die Überreste zweier Karpfen und eines Blesshuhns gefunden.
Das Abendlicht senkte sich wie ein blauer Schleier über die Gärten, das Zwitschern der Vogelstimmen ebbte ab. In ihr Gespräch vertieft entfernten Rantzau und Kielmann sich immer weiter vom Schloss. Am letzten Teich, fast schon am Waldrand, wollten sie umkehren. Da bemerkten sie etwas an seinem Ufer, eine Gestalt, die im Gras lag.
Ein Landstreicher, dachte Rantzau. Ein Wilderer. Jemand, der in seinen Teichen fischte. Seine Hand zuckte an den Dolch, den er im Gürtel trug. Doch er lief nicht weiter. Etwas hielt ihn zurück, wäre er allein gewesen, hätte er gewiss nach seinen Männern gerufen.
Der Kanzler jedoch stürmte unbeirrt voran. »Tot!«, rief er Rantzau zu, als er die Uferstelle erreicht hatte. »Ertrunken.«
Rantzau schüttelte ärgerlich den Kopf. Ein Fluch kam ihm über die Lippen. Der Tote würde für Unruhe unter seinen Leuten sorgen. Zögerlich folgte er Kielmann nach, der sich inzwischen umständlich neben die Leiche gekniet hatte.
»Ein Mädchen.« Der Kanzler hatte das Hemd, das die Leiche trug, nach oben geschlagen.
Weitere Kostenlose Bücher