Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
galt der fette Fisch als Delikatesse, die Bauern und Knechte leckten sich die Finger danach. Wie lange würde er warten müssen?
Oss schloss die Augen. Die Angelschnur lag locker in seiner Hand. Er versuchte den Fisch zu spüren, der dort unten auf ihn wartete. Der den Wurm, der durch ein Pferdehaar fest mit dem Haken verbunden war, beim Gründeln aufwirbeln und dann einsaugen würde.
Karpfenangeln war nicht einfach, der Spiegelkarpfen war ein zäher, vorsichtiger Bursche, den es zu überlisten galt. In klaren Gewässern hatte Oss schon beobachtet, dass der schlaue Fisch den Köder vom Haken zupfte und verschwand. Manche Angler fütterten die Karpfen zunächst mit Getreidekörnern an, bevor sie sich auf die Jagd machten. Doch Oss vertraute auf sein Gefühl und auf seinen Blick für das Wasser. Feine Bläschen, die aufstiegen, verrieten den gründelnden Karpfen, zitternde Halme am Uferrand zeigten seine Spur. Die Fische versteckten sich im Schilf und in Seerosenfeldern, unter überhängenden Ästen und anderem Gestrüpp.
Plötzlich gab es einen Ruck, Oss öffnete die Augen. Die Schnur hatte sich gespannt, doch das war kein Fisch, der an der Angel hing und nun um sein Leben kämpfte. Etwas Schweres, Unbewegliches hatte sich im Haken verfangen.
»Düvel ook!« Oss fluchte, die Angel war sein kostbarster Besitz. Er hatte Schnur, Haken und Gewichte nach und nach eingetauscht. Seine Währung war sein Geschick mit den Tieren gewesen, er hatte einem Bauern beim Kalben geholfen und dem Hufschmied bei einem widerspenstigen Gaul zur Seite gestanden.
Noch einmal zog Oss vorsichtig an der Schnur, die nun zum Zerreißen gespannt war. Doch sie bewegte sich nicht. Es half nichts, er musste nach dem Haken tauchen, wenn er die Angel nicht verlieren wollte.
Oss stand auf, er sah sich um. Sorgfältig knotete er die Angelschnur an einen Ast, dann zog er sich Hemd und Hose aus und watete in den Teich. Das Wasser stieg ihm schnell bis zu den Hüften, die Füße versanken im Morast, Schilfhalme kitzelten seine Beine. Noch ein paar Schritte voran, bis er den Grund nicht mehr spürte. Oss holte tief Luft und tauchte unter.
Unter der Wasseroberfläche öffnete er die Augen. Das Wasser war trüb, beim Hineinwaten hatten seine Füße Schlamm aufgewirbelt. Oss tauchte wieder auf und wartete einen Moment. Er dachte an Sophie. Sie hatten sich oft gemeinsam in die Schlei gestürzt und seine Schwester hatte ihn mit sich hinabgezogen bis auf den sandigen Grund des Meeresarms. Im Sommer hatte das Wasser grün geleuchtet und sanfte, warme Wellen hatten die fremde Welt in ein freundliches Refugium verwandelt. Niemals hatten sie sich gefürchtet. Ging es Sophie gut?
Wieder holte Oss tief Luft, noch einmal ließ er sich unter die Wasseroberfläche sinken. Es war sehr still und für einen Moment dachte er darüber nach, warum Gott die Fische mürrisch und stumm erschaffen hatte, während die Vögel doch fröhlich in den Bäumen sangen.
Unter Wasser öffnete er die Augen. Die Sicht war nun etwas besser, Licht fiel schräg von oben ein und hob einzelne Partien hervor. Oss tauchte tiefer und folgte der Schnur. Schatten bewegten sich über den Grund, der Teich war voller Fische. Kurz bevor er wieder nach Luft schnappen musste, sah er etwas. Erschrocken tauchte er auf.
»Was war das?«, murmelte er verwirrt, denn er meinte ein Wesen am Grund des Weihers entdeckt zu haben. Einen großen, hellen, schimmernden Körper.
War da etwa ein Nöck? Ein Wassermann, der – wie jedermann wusste – in Teichen, Seen oder Flüssen lebte und Menschen mit seinem launischen Spiel in die Fluten lockte. Die hübschen, goldgelockten Wesen sollten junge Mädchen rauben, bisweilen jedoch auch Kinder vor dem Ertrinken retten. Hatte sich also ein Nöck in seinem Haken verfangen?
Sein Herz klopfte, die Angst lähmte seine Beine. Doch dann fiel ihm ein Bannspruch ein, den Sophie ihn gelehrt hatte:
»Neck, Neck, Nadeldieb,
du bist im Wasser, ich bin an Land.
Neck, Neck, Nadeldieb,
ich bin im Wasser, du bist an Land.«
Dreimal murmelte Oss den Spruch, dann nahm er all seinen Mut zusammen, sog Luft in seine Brust und tauchte wieder unter.
Nun sah er noch klarer. Vorsichtig schwamm er auf das Wesen zu, das unbeweglich auf dem Grund ruhte. Es trug ein helles Hemd und goldenes Haar, das ihm knapp bis zu den Ohren reichte, bedeckte das Gesicht.
Schlief der Nöck? Oss sah, dass sich sein Angelhaken im Kleid des Wassergeistes verfangen hatte. Er hielt einen Moment still, doch
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