Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
wenigstens in seiner Reisebeschreibung näherte er sich dem Ziel mit großen Schritten. Weil er sich selbst in die Ferne begeben hatte, weil er das salzige Wasser der Kaspi-See gekostet und weil er auf Kamelen geritten und den Staub der Wüste bis hinab in seine intimsten Körperregionen gespürt hatte, geriet der Bericht zu einem wahrhaftigen und nützlichen Werk.
»Da«, sagte er laut zu sich selbst und schlug aufs Geratewohl eine Seite in einem der alten Reisetagebücher auf, die er unterwegs immer mit sich geführt hatte. Alles Schöne, aber auch alles Unglück und alle Rückschläge, die sie während der Reise erlebt und erlitten hatten, waren darin auf eng beschriebenen Seiten notiert.
Unter dem Datum des 13. August 1634 etwa hatte er eingetragen, dass sie in Nicola Nachinski, dem letzten Ort vor Moskau, angekommen waren. Damals hatte der zu ihrer Führung und Betreuung bestellte Gesandte des Zaren Seiner Majestät, dem Großfürsten Michael Feodorowitz, gemeldet, dass die Gesandtschaft Seiner fürstlichen Gnaden Friedrich III ., des Herzogs von Holstein-Gottorf, wohlbehalten angelangt war. Der Zar, ein Onkel und Schwager Herzog Friedrichs, hatte die Reisenden mit einem prächtigen Einzug in Moskau empfangen.
Dann blätterte Olearius zurück: Da war der 9. November 1633, als sich die Gesandten mit ihrem Gefolge in Travemünde auf der Fortuna einschifften, die Ankunft in Riga am späten Abend des 14. November. Dort hatte man fünf Wochen auf Schnee und Frost warten müssen, damit sich die Straßen bis Moskau in Schlittenbahnen verwandelten.
Am 14. Dezember endlich die große Fahrt mit einunddreißig Schlitten, das Weihnachtsfest in Dorpat, dann das Warten auf eine königlich-schwedische Gesandtschaft – zweiundzwanzig Wochen Unterbrechung in Narva. Und der ungeduldige Brüggemann, der kaum noch an sich halten konnte. Später Nowgorod und – wie ein Wunder – Moskau, das erste Etappenziel der Reise.
In seiner Erinnerung sah Olearius Türme über die Stadtmauern ragen, das Zarenschloss, ein unwirklicher Anblick – auch weil der durch die Gesandtschaft aufgewirbelte Staub die Sicht auf die Stadt trübte. Unfassbare Mengen gut gekleideter Menschen säumten Moskaus Straßen, sie starrten auf die Sänften, welche die Geschenke für den Zaren transportierten. Dann die Abgesandten des Zaren, Männer in golddurchwirkten Brokatkleidern und hohen Zobelmützen, ihre Pferde, makellose Schimmel mit silbernen Ketten geschmückt. Ein Sprecher hatte die Titel des Zaren verkündet: »Der große Herr Zar und Großfürst Michael Feodorowitz, aller Reußen Selbsterhalter, zu Wladimir, Moskau, Nowgorod, Zar zu Casan, Zar zu Astrachan …« Es dauerte eine Weile, bis alle Titel genannt waren, zum Schluss jedoch erklärte der Sprecher, dass es ihm eine Ehre sei, die Herren Gesandten des Herzogs zu Holstein-Gottorf zu empfangen und dass der große Zar und Großfürst ihnen samt ihren Oberen und Hofjunkern die Gnade erweise, auf seinen Pferden einzureiten. Die Gesandten selbst waren für die gesamte Zeit des Aufenthalts in Moskau zu persönlichen Dienern ernannt worden, um ihnen aufzuwarten und sie mit allem Nötigen zu versorgen.
Ach, ach … welch’ selige Erinnerungen! Olearius tunkte die Feder in die Tinte, inzwischen war er im Jahre 1636 angelangt. Wochen, Monate, ja, mehr als ein Jahr war vergangen, bis man die Reise nach Persien hatte fortsetzen können. Ein neues Schiff musste gebaut werden, die Friedrich , um die Wolga zu befahren. Dann Kasan, die ehemalige Haupt- und Residenzstadt des tartarischen Königreichs, das jetzt dem Zaren und Großfürsten untertan war. Kosaken, Kalmücken, Tartaren, entlaufene Sträflinge und andere Strolche ließen die Gesandtschaft auf der Reise nicht zur Ruhe kommen, Otto Brüggemann, der jeden Verdächtigen von bewaffneten Musketieren verfolgen ließ. Die Kaspi-See, die große Hitze, später Astrachan, schon Persien, danach dann Isfahan, Haupt- und Residenzstadt des Königs der Könige – die Perle der Welt , der Spiegel des Paradieses . Und das Ziel ihrer Reise.
So wie sich die Seiten seiner Tagebücher und Kladden mit Skizzen und Beschreibungen gefüllt hatten, so hatte Paul Fleming die Erlebnisse der holsteinischen Gesandten in seinen Gedichten verarbeitet. Auch davon fand sich einiges in den Kladden:
»Die dritte Nacht brach an.
Ich hatte weder Mahl, noch Schlaf, noch nichts getan.
Die Erde war mein Pfühl, mein Überzug der Himmel,
Der Trunk zerschmelztes Salz, das Essen
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