Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Narzisse knickte, während sich auf Farids Seite die Blüten erschrocken zur Seite bogen. »Denk doch nur, wie du die Zitronen und Orangen über den Winter gebracht hast.«
Sophie lachte. Sie hatte einen Großteil der kalten Zeit in den beheizten Räumen der Orangerie verbracht und mit einigen Gesellen die kostbaren Kübelpflanzen des Herzogs versorgen dürfen. Auch die Pfauen hatte sie tagsüber mit in die hellen, luftigen Säle genommen, und das Leuchten der gelben und orangefarbenen Früchte und das Federspiel der prächtigen Vögel waren ihr wie ein märchenhaftes Bild erschienen. So, und nicht anders, stellte sie sich das blühende Morgenland vor.
»Hofgärtner Friedrichs lässt mich noch nicht einmal in die Nähe der Orangen.« Farid sah vorwurfsvoll auf seine kräftigen Hände, die inzwischen tellergroß waren. Auch er war über den Winter noch einmal in die Höhe geschossen, die Schatten auf seinen Wangen waren nun mehr als ein Flaum. Und er roch anders. Etwas Vertrautes und doch gleichzeitig Verwirrendes strömte Sophie entgegen, wenn er sie freundschaftlich an sich zog. Dann musste Sophie an ihren Vater denken, an seinen herben Geruch nach Leder, Tabak und Ochsenhaar, den sie geliebt hatte. Und an Christian. Wie sähe er heute aus?
»Du eignest dich viel besser zum Gärtnergesellen als ich. Friedrichs kennt inzwischen sogar deinen Namen.«
»Es gibt niemanden, der mein Lehrgeld bezahlen könnte. Meine Eltern sind tot.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber ich bin froh, dass ich nicht mehr am Hang arbeiten muss.« Sie zeigte hinter sich, den Hügel hinauf. Die Sonne war nun durch die Wolkenschleier gebrochen und zeichnete die einzelnen Terrassen nach. Sie waren noch immer nicht vollendet. In diesem Jahr hatte der Hofgärtner damit begonnen, Rinnen und Becken zwischen den einzelnen Terrassen anzulegen. Eine Wasserachse mit Kaskaden und Fontänen sollte den Garten hügelabwärts durchschneiden. Freitreppen würden den Wasserlauf auf beiden Seiten rahmen. Wieder waren die Gartenjungen damit beschäftigt, Erde abzugraben und Steinfassungen zu errichten. An einigen Stellen sollten Skulpturen aus Sandstein und verzierte Schmucksteine die Mittelachse rahmen. Bildhauer schlugen den figürlichen Schmuck aus dem gelblich-grauen Stein.
»Wie etwas Lebendiges …« Erneut wies Sophie den Hang hinauf, unermüdlich liefen Gartenjungen und Gesellen die Terrassen auf und ab. Der Garten schien zu atmen, seine Flanken pulsierten. Das Rauschen der Herkulesfontäne verlieh ihm eine Stimme. Und aus den Plänen in Friedrichs’ Werkstatt hatte sie herausgelesen, dass Treppen und Wasserlauf das Rückgrat der Anlage bilden würden.
Nun sah Farid sie verständnislos an.
»Ich meine …« Sophie kam nicht dazu, ihren Satz zu vollenden. Hinter den Hecken hörte sie ihren Namen, einer der Gesellen rief nach ihr.
»Ich sollte noch in die Orangerie kommen.« Erschrocken sprang sie auf, hatte sie die Zeit vergessen?
»Wir sehen uns heute Abend.«
Farid spielte auf ihr Versteck oberhalb der Terrassen an. Wenn er dort seine Gebete sprach, begleitete Sophie ihn so oft, wie es ihr möglich war. Sie mochte den Ernst, mit dem er seinem Gott begegnete. Und das Gefühl des Vertrauens, das sie einte. Inzwischen konnte sie die fremden Worte aus dem Gedächtnis nachsprechen, Farid hatte ihr die Bedeutung der Worte erklärt. Wenn er betete, klang seine Stimme wie ein Instrument, und wie Musik stieg das Gebet in den Himmel und vermischte sich mit dem Abendgesang der Vögel. Dann schloss Sophie die Augen und folgte dem Strom ihrer Gedanken. Bisweilen meinte sie, Christian auf dieser Reise zu begegnen. Sie sah ihn vor sich, ganz deutlich, das helle Haar, die Sommersprossen, der Mund, der ihrem glich, und fühlte sich geborgen. War er ein Engel, der über sie wachte?
»Bis später«, murmelte sie und beeilte sich. Durch das Gartentor und über den Damm lief sie auf das im Morgenlicht schimmernde Schloss zu.
Das erste, was sie sah, war der Pulk von Menschen, die sich im Gewächshaus drängten. Sophie hielt den Atem an, was war geschehen? Beim Näherkommen erkannte sie Olearius und dessen Frau, den Kanzler und – war das der Herzog? Sie war ihm noch nie so nah gewesen. Ehrfürchtig blieb sie im Eingang der Orangerie stehen.
Hofgärtner Friedrichs hatte sich vor dem Kübel mit der heimtückischen Agave aufgestellt. Sophie konnte die dickblättrige Pflanze nicht leiden, die spitzen Dornen hatten sie schon mehr als einmal verletzt. Trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher