Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.«
Der Krieger zwang sich zu einem Lächeln und sah,
daß sich Bornhelds Gesicht vor Zorn verdunkelte. »Bruder, ich habe Euch um dieses letzte Treffen gebeten, weil
ich Euch Gelegenheit geben will, Euch unter meine Fahne zu stellen, damit wir gemeinsam den Eindringling
zurückschlagen können.«
»Ihr seid hier der Eindringling«, entgegnete der Oberste Kriegsherr zornerfüllt. »Und ich bin erschienen, Euch
zurückzuschlagen.«
»Dann heißt es also Krieg, Bruder? Drängt es Euch
wirklich danach, nun von meiner Hand die letzte und
endgültige Demütigung zu erfahren?« Axis lächelte immer noch. »Bornheld, Euch muß doch aufgefallen sein,
daß ich mittlerweile mehr von Achar beherrsche als Ihr.«
»Ich erkenne die Banner von Isgriff und Greville in
Euren Reihen, Axis. Womit habt Ihr sie bestochen, daß
sie ihrem König und ihrem Gott gegenüber eidbrüchig
wurden?« gab der Kriegsherr zurück.
Jeder neue Verrat trieb Bornheld tiefer in den Abgrund
der Verzweiflung, und der Abfall von Isgriff und Greville hatte ihn von allen am schwersten getroffen. Warum
tat Artor ihm das an? Artor, Artor, hört Ihr mich denn
nicht mehr? Wo seid Ihr nur?
In den zurückliegenden Wochen hatten seine Alpträume so zugenommen, daß er sich nachts schon nicht
mehr hinzulegen wagte. Die Hexe mit den schwarzen
Haaren und tückischen Augen, die am Tor hinter ihrem
Zähltisch saß, erschien ihm Nacht für Nacht und winkte
ihn mit ihren langen dürren Fingern zu sich.
Manchmal hielt sie ihm auch eine mit Edelsteinen besetzte Schale voll Wasser hin.
Tagsüber bestärkten Jayme und seine Berater den
Glauben des Königs an sich selbst und an den einen Gott.
Aber der geplagte Bornheld fragte sich, ob die Kirchenmänner nicht insgeheim unter ebensolchen Gewissensnöten litten wie er. Der Bruderführer und seine Schar tun
gut daran, wenn sie dafür sorgen, daß ich im Glauben fest
bleibe, dachte er zynisch, denn ich bin ihre letzte Hoffnung. Wenn ich falle, erwartet sie eine gewaltige Katastrophe. Mein Heer ist das einzige Bollwerk, das noch
zwischen Axis und dem Turm des Seneschalls steht.
Verständlich, daß Jayme es angesichts der nahen Feinde
aufgegeben hat, ständig an mir herumzunörgeln.
»Isgriff und Greville haben sich mir freiwillig angeschlossen«, entgegnete der Krieger und bemerkte jetzt die
dunklen Ringe unter den Augen seines Gegenübers. »So
wie jeder einzelne in meiner Armee. Alle, die hinter mir
stehen, lieben mich. Könnt Ihr das gleiche auch von Euren
Soldaten behaupten? Ich muß jedenfalls keine Söldner
mieten, damit überhaupt jemand für mich kämpft.«
Der König triumphierte innerlich. Also hatte sein Bruder noch nicht von dem Militärbündnis erfahren. Eine
günstige Gelegenheit, ihm diese wunderbare Neuigkeit
mitzuteilen: »Ich habe einen Beistandspakt mit dem koroleanischen Kaiser geschlossen, Axis. Stündlich treffen
Schiffe mit neuen Verstärkungen aus dem Südreich ein.
Wenn Ihr mich wirklich anzugreifen gedenkt, solltet Ihr
Euch sputen, denn mit jedem Tag, der vergeht, wächst
mein Heer.«
Der Krieger ließ sich äußerlich nicht mehr anmerken,
als die Zügel seines Hengstes kürzer zu nehmen. Sein
Bruder hatte sich mit dem Kaiser von Koroleas geeinigt?
Axis’ schlimmster Alptraum schien sich zu bewahrheiten. Koroleas besaß nicht nur ungeheuer viele waffenfähige Männer, sondern auch unbegrenzte Goldvorräte.
Wenn es ihm nicht gelang, Bornheld in einer raschen
Schlacht vernichtend zu schlagen, stünde ihm ein verheerender und Monate andauernder Zermürbungskrieg bevor. Damit ließe sich nicht nur der Vertrag mit der
Torwächterin nicht erfüllen. Dann stand auch zu befürchten, daß Gorgrael die Zeit nutzen würde, seine Skrälinge
zu einer unschlagbaren Waffe zu machen. Jeder Tag, den
der Sternenmann hier im Süden Achars verlor, würde die
Verluste bei den nächsten Winterschlachten erhöhen.
Axis sah an Bornheld vorbei auf dessen Begleitung.
Jorge und Gautier erkannte er dort. Aber wenn die beiden
sich hier aufhielten, wen hatte der König dann als Befehlshaber an den Verteidigungsstellungen von Jervois
zurückgelassen?
Und was hatte sein Bruder dem koroleanischen Kaiser
geboten, daß dieser sich zu einem Militärpakt bereit erklärte?
Bornheld schien die Gedanken des Kriegers zu lesen:
»Nor, mein Bruder. Ich habe ihm Nor dafür geboten.«
»Na, da hoffe ich aber, daß der Kaiser sich nicht schon
zu sehr darauf freut.«
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