Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
Feiern begonnen worden. Sternenströmer hatte
sie sofort auf die Tanzfläche gezogen und sich mit Isgriff
abgelöst, mit ihr zu tanzen. Die beiden hatten bis in die
späte Nacht darum gewetteifert, ihre Aufmerksamkeit zu
erringen. Nach einem kurzen Schlummer hatten ihre
Gedanken sie wieder geweckt, seitdem war an Schlaf
nicht mehr zu denken, und jetzt stand sie auf, um sich
endlich ihr Geschenk anzuschauen.
Mama?
Aschure zog sich eine Stola über das Nachthemd und
beugte sich über Caelums Wiege. »Ich gehe zum Narrenturm, Lieber. Wollt Ihr mitkommen, oder seid Ihr vom
Fest noch so müde, daß Ihr die ganze Zeit jammert und
herumzappelt?«
Ich will ein artiger Junge sein.
Sie lächelte ihn voll Liebe an, hob ihn aus der Wiege
und hielt ihn eng an ihre Brust gedrückt.
Im Lager war schon vor Stunden Ruhe eingekehrt. Alle Feiernden waren auf ihre Bettstatt gefallen oder hatten
sich gleich auf die Erde gelegt. Barfuß, mit nicht mehr
als einer Stola über dem weißen Nachthemd und mit
einer Laterne in der freien Hand, suchte Aschure sich
ihren Weg durchs Lager, bestieg wenig später die grasbewachsenen Hügel und erreichte schließlich den Narrenturm. Einige Alaunt hatten ihr folgen wollen, aber sie
hatte ihnen bedeutet, da zu bleiben. Von dem Turm drohte ihr keine Gefahr, und sie wollte ihren ersten Besuch
nur in Gesellschaft ihres Sohnes antreten.
Die Eingangstür war unverriegelt. Aschure schlüpfte
hinein und schloß sie leise hinter sich. Einige Zeit stand
sie nur da und sah sich andächtig um. Von außen wirkte
der Turm schon gewaltig, aber in seinem Innern erwies er
sich als noch einmal so groß. Sie stellte sich in die Mitte
und ließ den Blick mit der Laterne nach oben wandern.
Treppen, Balkone und luftige Simse zogen sich bis in
schwindelerregende Höhen hinauf. Kammern, Gemächer
oder offene Flächen öffneten sich von den Balkonen, die
dieses Atrium umringten. Doch nicht zwei der Balkone
und Ebenen schienen sich auf gleicher Höhe zu befinden.
Es war ein Zusammenspiel von Vierecken, Dreiecken
oder Kreisen, die in den Raum hineinragten. Ein unbeschreiblicher Anblick, der den Sinn des Betrachters verwirrt hätte, wenn ihm nicht eine unterschwellige
Harmonie innegewohnt hätte, die dem Turm seine wahre
Schönheit verlieh.
»Bei den Sternen«, staunte die junge Frau, »ich könnte
hier tagelang herumwandern und würde mich dann immer noch verirren.«
»Eigentlich findet man sich hier sehr einfach zurecht,
wenn man einen kleinen Trick anwendet«, bemerkte eine
leise Stimme hinter ihr, und Aschure fuhr erschrocken
herum. Die Laterne schwenkte sie dabei in ihrer Hand so
heftig hin und her, daß die Schatten wie von Sinnen über
die Wände des Atriums sprangen. Sie legte den Arm
fester um Caelum, wie um ihn zu schützen, der sofort
lautstark protestierte.
Ein Ikarier trat auf sie zu. Er hielt ein aufgeschlagenes
Buch in der Hand, hatte wohl gerade darin gelesen, als
Aschure hier aufgetaucht war. Einen so beeindruckenden
Vogelmenschen hatte Aschure selten zu Gesicht bekommen. Sein Gesicht strahlte noch mehr als das Sternenströmers Macht und Energie aus, und sie sagte sich,
daß es sich bei ihm um einen großen Zauberer handeln
müsse. Violette Augen lachten sie unter dunkel kupferroten Locken an. Von seinem Rücken standen goldene
Flügel ab, die nicht einfach nur so gefärbt sein konnten.
Der Anblick verwirrte sie in seiner Schönheit sehr, und
sie gewann beinahe den Eindruck, als seien diese
Schwingen gar aus purem Gold gehämmert.
»Verzeiht mir bitte«, sagte er und klappte das Buch zu.
Aschure konnte einen kurzen Blick auf den Titel werfen
… irgend etwas über die Seen. »Ich scheine Euch erschreckt zu haben.« Tatsächlich sah er ein wenig zerknirscht aus. »Und ich sollte mich hier auch gar nicht
aufhalten. Axis hat schließlich Euch den Narrenturm
übertragen, und deswegen muß ich mich wohl als Eindringling betrachten.«
»Habt Ihr an der Feier teilgenommen?« fragte die junge Frau und hielt ihren Sohn jetzt nicht mehr ganz so
fest.
»Ja, das habe ich. Allerdings habe ich mich ein gutes
Stück von Euch entfernt aufgehalten, wenn ich so sagen
darf.«
»Eigenartig«, meinte sie, »ich habe Euch noch nie gesehen. Und ein Gesicht wie das Eure hätte ich ganz bestimmt nicht vergessen.«
»Genau so wie Ihr ein Antlitz besitzt, Herrin Aschure,
das wohl kein Mann, sei er nun Acharit oder Ikarier, so
leicht vergessen könnte. Ihr seid eine Frau, für die eine
eigene
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