Der Sternenhuter - Unter dem Weltenbaum 04
erstbesten Waffe in der Hand herausgestürzt kamen,
weil sie glaubten, die Festung sei von Feinden umringt.
Aschure hatte vor Verlegenheit ein grimmiges Gesicht
aufgesetzt und sich mit aller Würde, die sie aufzubringen
vermochte, in ihr Gemach zurückbegeben. Die halbe
Burgbesatzung tuschelte hinter ihrem Rücken.
Jetzt saß Rivkah ganz ruhig in einem Sessel, während
die werdende Mutter vor Wehenschmerzen nicht still
sitzenbleiben konnte und unruhig auf und ab lief – wie
gewöhnlich gefolgt von Sicarius. Die anderen Alaunt
waren in die Küche ausquartiert worden, während Sternenströmer und Morgenstern sich draußen auf dem Flur
sorgten.
Das frühe Einsetzen der Wehen stellte an und für sich
kein Problem dar. Bei Erstgebärenden kamen Kinder
öfters früher als erwartet. Aber Axis war nicht zugegen,
und bei der Geburt eines Ikariers mußte zumindest ein
ikarischer Elternteil anwesend sein, um mit seinen Worten dem Kleinen zu helfen, auf die Welt zu kommen.
Die Kinder der Ikarier waren bei ihrer Geburt viel aufgeweckter als Menschenkinder, aber auch sensibler. Die
Wehen, wenn die Gebärmutter sich um sie herum zusammenzog, erschreckten und verwirrten kleine Ikarier.
Und wenn sie dann noch spürten, daß ihre Mutter
Schmerzen litt oder Angst vor der Geburt hatte, konnte
sie das durchaus in Panik versetzen. Deswegen sollte der
Vater zugegen sein, um mit dem Kind zu reden, es zu
beruhigen und es dazu zu bringen, die Geburt nicht zu
fürchten, sondern sich einfach vom natürlichen Ablauf
leiten zu lassen. Wenn der Vater nicht dabei sein konnte,
glaubte das Kind in seiner Panik, um sein Leben kämpfen
zu müssen, verdrehte sich und wehrte sich nach Kräften
gegen den Druck im Mutterleib.
Rivkah wirkte nur äußerlich ruhig, denn in Gedanken
durchlebte sie noch einmal die Geburt von Axis; sie war
über alle Maßen schwer gewesen, weil Sternenströmer
nicht bei ihr hatte sein können. Sie hatte schreckliche
Schmerzen erlitten, und das hatte den kleinen Jungen in
noch größere Panik versetzt. Er hatte sich im Bauch Rivkahs so verdreht, daß man ihn fast nicht hatte herausbekommen können. Seine Mutter wäre daran beinahe elendig zugrunde gegangen.
Das wollte Rivkah der jungen Frau natürlich nicht wünschen. Wie lange brauchte Axis wohl, um hierherzugelangen? Würde Aschure tagelang auf ihn warten und dabei
vor Schmerzen und Ermattung fast vergehen müssen?
Eigentlich hätten auch Sternenströmer oder Morgenstern für Axis einspringen können. Aber weil Aschure
bislang nicht zugelassen hatte, daß die beiden mit Caelum redeten, würde der Kleine ihnen nicht trauen. Vermutlich würde sogar die gegenteilige Wirkung eintreten.
Das Kind bekäme es angesichts der Fremden noch mehr
mit der Angst zu tun. Und dann vermochten selbst Zauberer der Gebärenden kaum noch zu helfen.
Rivkah nagte an ihrer Unterlippe, während sie zusehen
mußte, wie Aschure in ihrem losen Leinennachthemd
unablässig hin und her lief und sich mit den Händen das
Kreuz hielt. Die Wehen mußten heftiger geworden sein,
und das bekam der kleine Caelum natürlich mit. Aber
dieses Unbehagen war nur ein schwacher Abglanz dessen, was den beiden noch bevorstehen würde. Als Rivkah
vor ein paar Minuten noch einmal vorgeschlagen hatte,
Sternenströmer oder Morgenstern hereinkommen zu
lassen, hatte Aschure sie nur wütend angefahren, die
beiden nur ja draußen zu lassen.
Und als kaum jemand mehr damit rechnete, flog unvermittelt die Tür auf, und Axis trat ein.
»Aschure!« Der Krieger stand mit drei großen Schritten vor ihr und zog sie in seine Arme. Beide lachten und
weinten gleichzeitig. Rivkah konnte auch nicht mehr an
sich halten und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie wischte
sie jedoch rasch wieder mit dem Handrücken von den
Wangen, umarmte ihren Sohn, klopfte ihm auf den Rücken und strich ihm die zu langen Haare aus den Augen.
Endlich konnte der Krieger sich von seiner Liebsten
trennen und sah sie verwirrt an. »Ich hörte, Ihr lägt in den
Wehen, aber …« Er sah seine Mutter an, so als könne sie
ihm erklären, warum Aschure sich nicht schweißgebadet
im Bett befand und mit jedem Atemzug darum rang, ihr
Kind zur Welt zu bringen.
Beide Frauen lachten über seinen Gesichtsausdruck.
»Die Wehen nehmen einige Zeit in Anspruch, mein
Sohn«, erklärte ihm Rivkah schließlich, »und unsere
junge Freundin hier befindet sich noch im Anfangsstadium.«
Doch dann legte sich ihre Heiterkeit, und sie
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