Der Sternenwald
kritischen Situation und der Tod des Weisen Imperators kam zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt – dadurch blieb das ildiranische Volk ohne ein Oberhaupt, vom Thism getrennt, das alle Ildiraner miteinander verband. Zu viele Pläne standen vor der entscheidenden Phase, so wie Udru’hs Arbeit auf Dobro. Er dachte an Osira’h und ihre Fähigkeiten…
Die Zeit genügte nicht!
Er ließ das Messer sinken und sah in das von Glänzern umgebene, reflektierende Glas. Sein hageres Gesicht war attraktiv, aber die Züge hatten sich verhärtet. Die Ähnlichkeit mit Jora’h war unübersehbar, doch was bei dem Erstdesignierten ruhig und sanft wirkte, schien bei Udru’h strenger und dunkler zu sein.
Was sollte jetzt aus dem Reich werden?
Der Weise Imperator hatte versucht, Jora’h zu unterweisen, ihm einige seiner Pläne zu erklären, aber nicht alle. Der Erstdesignierte war sehr zornig gewesen, als er die Wahrheit erfuhr – eine Wahrheit, die er schon lange zuvor hätte erahnen sollen, wenn er bereit gewesen wäre, Lehren aus der Geschichte zu ziehen und die Hinweise um ihn herum zu deuten. Aber Jora’h lehnte es ab, die Realität zu verstehen, und er sah auch nicht die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen ein, die zum Wohle des ildiranischen Volkes ergriffen werden mussten. Und jetzt schickte er sich an, zum neuen Oberhaupt des Reiches zu werden.
Udru’h fragte sich, ob er seinem Bruder vertrauen konnte.
Er musste glauben, dass der verstorbene Weise Imperator das Ildiranische Reich niemandem anvertraut hätte, der nicht dafür geeignet war, es zu führen. Aber Udru’h erinnerte sich auch an die schwere Krankheit seines Vaters. Vielleicht hatten Schmerz und körperlicher Verfall Cyroc’hs Entschlossenheit und geistige Klarheit beeinträchtigt. War das möglich? Und welche Konsequenzen ergaben sich daraus?
Ohne den Weisen Imperator und das Thism waren die Brüder voneinander getrennt und nicht imstande, die Gedanken der anderen zu erfassen. Der Dobro-Designierte hoffte, dass Jora’h alles verstand und akzeptierte, sobald er die Fäden des Thism wieder miteinander verknüpft hatte. Er musste verstehen!
Aber selbst wenn er verstand, wenn ihm alle Hintergründe klar wurden… Vielleicht hielt er die getroffenen Entscheidungen für falsch. Als neuer Weiser Imperator konnte er jede beliebige Anweisung erteilen und jahrhundertelange Bemühungen zunichte machen. Etwas Schlimmeres konnte kaum geschehen.
Wenn Jora’h das Zuchtprogramm auf Dobro so sehr verabscheute – was hinderte ihn daran, es mit einem Befehl zu beenden? Jora’h konnte alles ruinieren – nur deshalb, weil er die menschliche grüne Priesterin zu lieben glaubte, deren genetisches Erbe eine lebende Brücke bauen konnte, die sie vielleicht alle vor den Hydrogern rettete.
Derart düstere Gedanken gingen Udru’h durch den Kopf, als er förmliche, selten getragene Kleidung überstreifte. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er sich im Spiegel. Er zog schlichte Kleidung vor, denn es gab so viel zu tun. Sein verletzter Bruder, der Hyrillka-Designierte, trug immer prächtige Umhänge, wie sie sich für Banketts und Partys eigneten. Das Leben in Luxus überließ Udru’h anderen; für so etwas hatte er nichts übrig.
Leider gab es einige Zeremonien, an denen er teilnehmen musste: die Bestattung seines Vaters, die Unterbringung seiner glühenden Knochen im Ossarium… und schließlich jenes Ritual, durch das Jora’h zum neuen Weisen Imperator wurde. Es gab keine Aufforderung, nach Ildira zu fliegen. Alle Designierten wussten, dass sie sich sofort auf den Weg zum Prismapalast machen mussten. Es blieb Udru’h nichts anderes übrig, als die kleine Osira’h und das Zuchtprogramm für einige Zeit unbeaufsichtigt zu lassen. Die Umstände wollten es so.
Doch ohne die telepathischen Verbindungen bot sich ihm eine unerwartete Chance, eine Möglichkeit, geheime Pläne einzuleiten – und sie vor Jora’h zu verbergen, wenn das erforderlich sein sollte.
Als er sein Quartier besorgt und niedergeschlagen verließ, fühlte sich Udru’h sehr allein und konnte nicht einmal einen blassen Schimmer der Lichtquelle sehen. An seinen grundsätzlichen Überzeugungen änderte sich nichts. Wenn er nicht sicher sein konnte, dass sein Bruder die schwierigen, notwendigen Entscheidungen traf, so musste er, der Dobro-Designierte, dafür sorgen, dass jene Entscheidungen absolut unausweichlich waren.
Er rief die Wächter zu seiner Residenz und gab ihnen klare Anweisungen für die Zeit
Weitere Kostenlose Bücher