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Der Sternenwald

Der Sternenwald

Titel: Der Sternenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin J. Anderson
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Felsen rutschten lawinenartig nach unten – Land und Meer verschlangen die beiden Liebenden.
    Ihre Leichen wurden nie gefunden, aber manchmal…« Vao’sh zögerte und die über seine Hautlappen streichenden Farben erinnerten an einen Sonnenaufgang. »Manchmal, wenn Ildiraner über einen Strand gehen, wo das Wasser des Meeres den trockenen Sand berührt, an Stellen, wo sich sonst nie jemand aufhält und wo es keine Beobachter gibt… Dort sehen sie zwei verschiedene Fußspuren, die eine im feuchten Sand, die andere auf dem Trockenen: eine Schwimmerin und ein Geschuppter, die nebeneinander über den Strand gewandert sind.«
    Das Feuer knackte weiterhin und Anton lehnte sich zurück, die Hände aufs weiche Moos gestützt. »Das ist eine wundervolle Geschichte, Vao’sh.« Er fragte sich, welche er erzählen sollte, bevor das Feuer niederbrannte. »Und hier habe ich eine für Sie.«

41 NIRA
    Ildiraner wohnten gern dicht beisammen, damit sie die Präsenz der anderen fühlen konnten, und nach diesem Prinzip hatten sie auch die Unterkünfte für ihre menschlichen Gefangenen geplant. Niras Quartier befand sich in einem großen Gebäude mit zahlreichen Schlafstellen, Tischen und Gemeinschaftsbereichen. Hier kochten und schliefen die Menschen, hier verbrachten sie ihre freie Zeit. Sie waren wie eine riesige Familie, alle unter einem Dach.
    Nira lebte still in ihrer Mitte, teilte die Mahlzeiten mit ihnen und schlief, wenn sie schliefen. Doch die ganze Zeit über fühlte sie sich von ihnen getrennt, denn sie unterschied sich von allen anderen. Die übrigen Gefangenen schlossen sie nicht aus, aber es fiel ihr schwer, sich anzupassen. Sie nahm Anteil am Schicksal der anderen, doch dem Gefühl der Einsamkeit konnte sie nie ganz entkommen, nicht einmal in Gesellschaft.
    Während Dobros dunkler Nacht saß Nira stumm auf ihrem schmalen Bett und lauschte den Stimmen um sie herum. In ihrem kleinen persönlichen Bereich hatte sie mehrere Pflanzen in improvisierten Töpfen, Blumen, einen kleinen Busch, mehrere süß duftende Kräuter. Pflanzen waren ihr ein Trost.
    Sie erinnerte sich an die vielen bunten Feiern und Feste, die Vater Idriss und Mutter Alexa in der großen Pilzriff-Stadt auf Theroc veranstaltet hatten. Sie dachte an Arbeiter, die an den hohen Weltbäumen emporkletterten und schwarze Samenkapseln sammelten, aus denen stimulierender Clee gekocht wurde, saftige Epiphyten ernteten und Larven von Kondorfliegen aufschnitten, um an das weiche Fleisch darin zu gelangen. Gruppen von Akolythen, Nira unter ihnen, waren ebenfalls an den schuppigen Stämmen hochgeklettert, um auf den miteinander verbundenen Wipfeln zu sitzen und den neugierigen Bäumen laut vorzulesen.
    Es waren die schönsten Jahre ihres Lebens gewesen…
    Ein Mann begann zu husten und seine Frau brachte ihn zu Bett, füllte dann ein Formular für die benötigte Arznei aus. Nira sah sich um, blickte zu den Familiengruppen, die sich selbst unter diesen Bedingungen gebildet hatten. Die anderen Menschen schienen zu glauben, ein normales Leben zu führen.
    Selbst im Gefangenenlager auf Dobro verliebten sich Männer und Frauen, gingen Beziehungen ein und hatten Kinder – obgleich manchmal Frauen aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften ausgewählt und zu den Zuchtbaracken gebracht wurden. Die Ehemänner waren nicht gerade glücklich, wenn das geschah, aber sie fanden sich damit ab. Sie hielten diese unnatürliche soziale Ordnung seit Generationen für die Normalität.
    Die männlichen menschlichen Gefangenen mussten Dutzende, sogar hunderte von ildiranischen Frauen schwängern. Wenn sich jemand weigerte, diesen Verpflichtungen nachzukommen, »ernteten« die Ildiraner des Mediziner-Geschlechts wiederholt Samen von dem Betreffenden und schickten ihn schließlich als Eunuchen zu den Arbeitsgruppen.
    Nira litt mehr an ihrer Situation als die anderen Gefangenen. Sie wusste, dass Menschen sehr anpassungsfähig waren und viele Dinge akzeptieren konnten. Ihr Kummer galt nicht etwa der Stärke und Ausdauer der übrigen Männer und Frauen, sondern dem Umstand, dass sie vergessen hatten, wie das Leben sein sollte.
    Die Nacht hatte schon vor einigen Stunden begonnen und Sterne leuchteten am Himmel, aber in den Wohnbaracken ging nie das Licht aus. Auch in dieser Hinsicht hielt man sich an die ildiranische Tradition: Man erlaubte keine Dunkelheit in den Gebäuden, es sei denn als Strafe. Die Menschen hatten sich längst daran gewöhnt, trotz des Lichts zu schlafen. Viele Kinder waren

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