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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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griff aus der Gruppe, die sich um mich zu bilden begann, eines der Mädchen heraus und drängte es langsam zu der Stelle hin, wo Pyle und Granger kämpften.
    »Je suis un vieux«, sagte ich. »Trop fatigué.« Das Mädchen kicherte und drängte sich an mich. »Mon ami«, sagte ich, »il est très riche, très vigoureux.«
    »Tu es sale«, erwiderte es.
    Ich erblickte Granger, erhitzt und triumphierend: Anscheinend betrachtete er diese Demonstration als eine Huldigung an seine Männlichkeit. Eines der Mädchen hatte seinen Arm in den von Pyle geschlungen und versuchte, ihn mit sanfter Gewalt aus dem Ring der anderen herauszuziehen. Ich stieß mein Mädchen unter die übrigen und rief: »Hierher, Pyle!«
    Er sah über die Köpfe der Mädchen zu mir herüber und sagte: »Furchtbar ist das. Furchtbar.« Es mochte eine Täuschung durch das Lampenlicht sein, aber sein Gesicht sah abgezehrt aus. Der Gedanke kam mir, daß er möglicherweise noch nie eine Frau besessen hatte.
    »Kommen Sie mit, Pyle«, sagte ich. »Und überlassen Sie die Mädchen Granger.« Ich sah, daß sich seine Hand in Richtung Hüfttasche bewegte. Ich glaube allen Ernstes, er wollte seine Taschen leeren und Piaster und Dollar unter die Mädchen verteilen. »Seien Sie doch kein Narr, Pyle«, fuhr ich ihn an. »Gleich werden sie sich um Sie zanken.« Mein Mädchen wandte sich wieder mir zu, und ich gab ihr noch einen Stoß zurück in den engen Kreis um Granger. »Non, non«, sagte ich, »je suis un Anglais, pauvre, très pauvre«. Dann erwischte ich Pyle am Rockärmel und zerrte ihn heraus, während das Mädchen an seinem anderen Arm hing wie ein Fisch an der Angel. Zwei oder drei Frauen suchten uns den Weg abzuschneiden, ehe wir das Ausgangstor erreichten, wo der Korporal stand und uns beobachtete; aber es fehlte ihnen an Entschlossenheit.
    »Was soll ich mit der da anfangen?« sagte Pyle.
    »Sie wird keine Scherereien machen«, meinte ich, und in diesem Augenblick ließ das Mädchen auch schon Pyles Arm los und stürzte sich in das Getümmel um Granger.
    »Wird ihm wohl nichts passieren?« fragte Pyle besorgt.
    »Der hat jetzt, was er haben wollte – eine Puppe.«
    Draußen im Freien, wo gerade eine zweite Abteilung von Panzerwagen zielbewußt vorüberrollte, schien die Nacht sehr still zu sein. »Furchtbar ist das«, wiederholte Pyle. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten …« Betrübt und zugleich ehrfürchtig fügte er hinzu: »So hübsch wären sie.« Er beneidete nicht Granger, er klagte nur darüber, daß etwas Gutes – und Schönheit und Grazie sind ohne Zweifel Ausdrucksformen des Guten – so verdorben und mißhandelt wurde. Pyle vermochte Leid zu erkennen, wenn er es vor Augen hatte. (Wenn ich solches über ihn schreibe, so ist das kein Hohn, denn nicht viele unter uns verfügen über diese Fähigkeit.)
    »Kommen Sie zurück zum ›Chalet‹. Phuong wartet auf uns«, sagte ich.
    »Entschuldigen Sie. Das hatte ich ganz vergessen. Sie hätten sie nicht allein lassen sollen.«
    »Sie war ja nicht in Gefahr.«
    »Ich dachte nur, ich würde Granger sicher nach Hause …« Wiederum versank er in seinen Gedanken. Doch als wir das Lokal betraten, sagte er in unbegreiflichem Seelenschmerz: »Ich hatte vergessen, wie viele Männer es gibt …«

2
     
    Phuong hatte einen Tisch am Rande der Tanzfläche für uns besetzt, und das Orchester spielte einen Schlager, der vor fünf Jahren in Paris populär gewesen war. Zwei vietnamesische Paare, zierlich, elegant, distanziert, tanzten mit einem Flair von Zivilisiertheit, mit dem wir es nicht aufnehmen könnten. (Ich erkannte eines der Paare – es war ein Buchhalter der Banque de l ’ Indo-Chine und seine Gattin.) Man hatte den Eindruck, daß sie sich niemals nachlässig kleideten, niemals etwas Falsches sagten, niemals einer ungehörigen Leidenschaft anheimfielen. Wenn der Krieg in diesem Land mittelalterlich erschien, dann glichen sie der Zukunft des achtzehnten Jahrhunderts. Man hätte meinen können, Monsieur Pham-Van-Tu verfaßte in seiner Freizeit klassische Verse; zufällig wußte ich aber, daß er ein Verehrer Wordsworths war und romantische Naturpoesie schrieb. Seine Urlaube verbrachte er in Dalat, wo er noch am ehesten die Stimmung der nordenglischen Seenlandschaft vorfand. Er verbeugte sich leicht, als er an uns vorübertanzte.
    Ich fragte mich, wie es fünfzig Meter von uns entfernt Granger ergangen war.
    Eben entschuldigte sich Pyle bei Phuong in schauerlichem Französisch dafür, daß

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