Der stille Amerikaner
heute nicht beklagen. Dennoch bitte ich Dich jetzt, in eine Scheidung einzuwilligen.«
Phuong rief vom Bett, daß sie das Tablett mit der Pfeife bereit habe.
»Einen Augenblick!« sagte ich.
»Ich könnte diese Bitte irgendwie einkleiden«, schrieb ich weiter, »und sie ehrenhafter und würdiger erscheinen lassen, indem ich vorgebe, daß ich sie im Interesse eines anderen Menschen vorbringe. Doch dies ist nicht der Fall, und wir beide haben einander stets die Wahrheit gesagt. Es geschieht für mich, und nur für mich allein. Ich liebe eine andere Frau sehr. Seit über zwei Jahren leben wir zusammen. Sie ist mir treu ergeben gewesen; aber ich weiß, daß ich für sie nicht unentbehrlich bin. Wenn ich sie verlasse, dann wird sie eine Weile ein bißchen unglücklich sein, nehme ich an, aber es wird keine Tragödie geben. Sie wird einen anderen Mann heiraten und Kinder haben. Es ist dumm von mir, Dir das alles zu sagen, weil ich Dir damit die Antwort geradezu in den Mund lege. Doch weil ich bisher streng bei der Wahrheit geblieben bin, wirst Du mir vielleicht glauben, wenn ich Dir sage, daß der Verlust dieser Frau für mich den Anfang des Todes bedeuten würde. Ich bitte Dich nicht, ›vernünftig‹ zu sein – die Vernunft steht ganz auf Deiner Seite –, oder barmherzig. ›Barmherzigkeit‹ ist für meine Lage ein viel zu großes Wort, und gerade ich verdiene sie wohl auch nicht. Worum ich Dich vermutlich wirklich bitte, ist, daß Du Dich plötzlich vernunftwidrig, in Widerspruch zu Deinem Charakter verhältst. Ich möchte, daß Du« (ich zögerte vor dem Wort und traf dann doch nicht das Richtige) »Zuneigung empfindest und handelst, ehe Du Zeit zum Nachdenken hast. Ich weiß, das wäre am Telefon leichter als über eine Entfernung von achttausend Seemeilen. Wenn Du mir doch nur das eine Wort ›Einverstanden‹ kabeln wolltest!«
Als ich fertig war, hatte ich ein Gefühl, als wäre ich eine weite Strecke gelaufen und hätte dabei ungeübte Muskeln beansprucht. Ich legte mich aufs Bett, während Phuong meine Pfeife fertig machte. »Er ist jung«, sagte ich.
»Wer?«
»Pyle.«
»Das ist nicht so wichtig.«
»Ich würde dich heiraten, Phuong, wenn ich könnte.«
»Das meine ich auch, aber meine Schwester glaubt es nicht.«
»Ich habe gerade an meine Frau geschrieben und sie gebeten, sich von mir scheiden zu lassen. Das habe ich bisher noch nie versucht. Es besteht also immerhin eine Chance.«
»Eine große Chance?«
»Nein, aber eine kleine doch.«
»Mach dir jetzt keine Sorgen. Rauche.«
Ich sog den Rauch ein, während sie meine zweite Pfeife vorzubereiten begann. »Phuong, war deine Schwester wirklich nicht zu Hause?« fragte ich sie.
»Ich sagte es dir bereits – sie war ausgegangen.« Es war töricht, sie dieser zügellosen Wahrheitssucht auszusetzen, einer Sucht des Westens wie die Sucht nach Alkohol. Durch den Whisky, den ich mit Pyle getrunken hatte, wurde die Wirkung des Opiums abgeschwächt. Ich sagte: »Ich log dich vorhin an, Phuong. Ich bin nach England beordert worden.«
Sie legte die Pfeife hin. »Aber du wirst nicht hingehen?«
»Wovon werden wir leben, wenn ich mich weigere?«
»Ich könnte mit dir fahren. Ich möchte gern London sehen.«
»Es wäre für dich dort sehr ungemütlich, wenn wir nicht verheiratet wären.«
»Aber vielleicht wird sich deine Frau scheiden lassen.«
»Vielleicht.«
»Ich fahre auf jeden Fall mit dir«, sagte sie. Sie meinte es ernst, doch ich sah am Ausdruck ihrer Augen, wie dahinter eine lange Kette von Gedanken begann, während sie die Pfeife wieder zur Hand nahm und sich anschickte, das Opiumkügelchen zu erhitzen. Sie sagte: »Gibt es in London Wolkenkratzer?«, und ich liebte sie ob der Unschuld ihrer Frage. Sie mochte aus Höflichkeit lügen, aus Angst, selbst aus Gewinnsucht, doch nie hätte sie die Schläue besessen, ihre Lügen zu verbergen.
»Nein, um die zu sehen, mußt du schon nach Amerika fahren.«
Über die Nadel hinweg warf sie mir einen schnellen Blick zu und erkannte ihren Fehler. Während sie das Opium knetete, begann sie dann aufs Geratewohl über die Kleider zu plaudern, die sie in London tragen würde, wo wir wohnen sollten, schwatzte von der Untergrundbahn, von der sie in einem Roman gelesen hatte, und von den zweistöckigen Autobussen. Würden wir hinfliegen oder mit dem Schiff reisen? »Und die Freiheitsstatue …«, sagte sie.
»Nein, Phuong, die ist auch amerikanisch.«
Zweites Kapitel
1
Mindestens einmal im Jahr
Weitere Kostenlose Bücher