Der stille Amerikaner
»no.« Plötzlich wich der Zorn von uns beiden; so einfach war das ganze Problem – durch ein Wort von zwei Buchstaben zu lösen. Ich empfand ein Gefühl ungeheurer Erleichterung. Pyle stand mit halboffenem Mund und einem Ausdruck vollkommener Ratlosigkeit im Gesicht vor uns. Er sagte: »Sie hat gesagt ›no‹.«
»Soviel Englisch kann sie.« Plötzlich war mir zum Lachen zumute: Was für einen Narren hatte doch jeder von uns aus dem anderen gemacht. »Setzen Sie sich, Pyle, und trinken Sie noch einen Whisky.«
»Ich glaube, ich sollte jetzt gehen.«
»Nur einen – für den Heimweg.«
»Ich darf doch nicht Ihren ganzen Whisky austrinken«, murmelte er.
»Ich bekomme soviel ich will von der Gesandtschaft.« Ich bewegte mich zum Tisch, und der Hund fletschte die Zähne.
Pyle fuhr ihn wütend an: »Leg dich, Herzog! Und benimm dich!« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es tut mir schrecklich leid, Thomas, wenn ich irgend etwas Ungehöriges gesagt habe. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.« Er nahm sein Glas und sagte wehmütig: »Der Bessere gewinnt. Ich bitte Sie nur um das eine, Thomas: Verlassen Sie sie nicht.«
»Selbstverständlich werde ich sie nicht verlassen«, sagte ich.
»Will er vielleicht eine Pfeife rauchen?« fragte mich Phuong.
»Wollen Sie eine Pfeife rauchen?«
»Nein, danke, Opium rühre ich nicht an; außerdem haben wir im diplomatischen Dienst sehr strenge Vorschriften. Ich trinke nur das hier aus, und dann gehe ich. Es tut mir leid wegen Herzog. Gewöhnlich ist er sehr ruhig.«
»Bleiben Sie doch zum Abendessen.«
»Falls es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich jetzt lieber allein sein, glaube ich.« Er grinste verlegen. »Außenstehende würden wahrscheinlich sagen, daß wir beide uns recht sonderbar benommen haben. Ich wollte, Sie könnten sie heiraten, Thomas.«
»Wollen Sie das tatsächlich?«
»Ja. Seit ich damals dieses Haus sah – Sie wissen, das Haus unmittelbar neben dem ›Chalet‹, habe ich solche Angst.«
Ohne Phuong anzusehen, stürzte er schnell den ungewohnten Whisky hinunter, und als er sich verabschiedete, berührte er ihre Hand nicht, sondern machte nur eine linkische, eckige kleine Verbeugung. Ich beobachtete, wie Phuongs Blick ihn bis zur Tür verfolgte. Als ich am Spiegel vorbeikam, sah ich mich selbst: den obersten Knopf meiner Hose offen, den Anfang eines Bauchs. Draußen sagte er: »Ich verspreche Ihnen, daß ich sie nicht besuchen werde, Thomas. Das hier soll uns nicht in die Quere kommen, nicht wahr? Ich werde um Versetzung ansuchen, sowie meine Dienstzeit hier beendet werden kann.«
»Wann wird das sein?«
»In ungefähr zwei Jahren.«
Ich ging ins Zimmer zurück und dachte: Was für einen Zweck hat das Ganze? Ich hätte den beiden ebensogut sagen können, daß ich fortgehe. – Pyle brauchte dann sein blutendes Herz nur ein paar Wochen lang als Dekoration herumzutragen … Meine Lüge würde sogar sein Gewissen erleichtern.
»Soll ich dir eine Pfeife richten?« fragte Phuong.
»Ja, in einem Augenblick. Ich möchte nur noch einen Brief schreiben.«
Es war der zweite Brief, den ich an diesem Tag schrieb, aber jetzt zerriß ich kein Blatt davon, obwohl ich genau so wenig Hoffnung auf eine günstige Antwort hatte. Ich schrieb: »Liebe Helen! Im April werde ich nach England zurückkehren, um den Posten des Auslandsredakteurs zu übernehmen. Du kannst Dir vorstellen, daß ich darüber nicht sehr glücklich bin. England ist für mich der Schauplatz meiner Niederlage. Ich hatte den festen Vorsatz gehabt, unserer Ehe Bestand zu geben, genauso, wie wenn ich Deinen christlichen Glauben geteilt hätte. Bis zum heutigen Tag bin ich mir nicht klar geworden, was eigentlich schiefging (ich weiß, daß wir beide uns bemüht haben), ich glaube, es lag an meinem Temperament. Mir ist wohl bewußt, wie grausam und böse ich sein kann. Jetzt ist es ein bißchen besser – das verdanke ich dem Osten. Ich bin nicht sanfter geworden, aber ruhiger. Vielleicht liegt es auch einfach daran, daß ich fünf Jahre älter geworden bin – in jenem Lebensalter, wo fünf Jahre einen beträchtlichen Anteil jener Zeit ausmachen, die einem noch verbleibt. Du bist stets sehr großmütig gewesen und hast mir seit unserer Trennung niemals Vorwürfe gemacht. Könntest Du noch ein wenig großmütiger sein? Ich weiß sehr wohl, daß Du mich vor unserer Heirat gewarnt hast, es könne nie eine Scheidung geben. Damals nahm ich dieses Risiko auf mich und kann mich deshalb
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