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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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diesem Klima sehr gesund. Er enthält – nun, ich bin nicht ganz sicher, welche Vitamine er enthält.« Er reichte mir einen Becher, und ich trank.
    »Na, wenigstens ist er naß«, sagte ich.
    »Möchten Sie ein Sandwich? Sie sind wirklich ausgezeichnet. Ich habe da einen neuen Brotaufstrich. Er heißt ›Vitasan‹. Meine Mutter sandte ihn mir aus den Staaten.«
    »Nein, vielen Dank, ich habe keinen Hunger.«
    »Er schmeckt eigentlich fast wir russischer Salat – nur irgendwie trockener.«
    »Nein, danke, wirklich nicht.«
    »Aber es stört Sie nicht, wenn ich esse?«
    »Nein, nein, durchaus nicht!«
    Er biß ein großes Stück ab, und es knirschte und bröselte zwischen seinen Zähnen. In der Ferne ritt Buddha, gemeißelt aus weißem und rosarotem Stein, aus der Heimat seiner Ahnen fort, und sein Diener – eine zweite Statue – rannte zu Fuß hinter ihm her. Die weiblichen Kardinäle schlenderten zu ihrem Haus zurück, und von der Höhe über dem Portal des Doms spähte das Auge Gottes auf uns herab.
    »Sie wissen ja, daß man uns hier Lunch serviert?« sagte ich.
    »Ich dachte mir, ich riskiere es lieber nicht. Das Fleisch – in dieser Hitze muß man sich in acht nehmen.«
    »Davor sind Sie ziemlich sicher. Die Leute hier sind Vegetarier.«
    »Wahrscheinlich sind die Speisen schon in Ordnung, aber ich möchte doch lieber wissen, was ich esse.« Wiederum biß er mampfend von seinem Vitasanbrot ab. »Glauben Sie, daß es hier einigermaßen verläßliche Mechaniker gibt?«
    »Sie verstehen genug davon, um Ihr kaputtes Auspuffrohr in einen Granatwerfer zu verwandeln. Ich glaube, Buicks liefern die besten Granatwerfer.«
    Der Kommandant kam zurück, salutierte stramm und sagte, er habe in die Kaserne nach einem Mechaniker geschickt. Pyle bot ihm ein Vitasan-Sandwich an, das er höflich ablehnte. Mit der Miene eines Weltmanns sagte er: »Wir haben so viele Vorschriften über das Essen.« (Er sprach vorzüglich englisch.) »So albern. Aber Sie wissen ja, was es heißt, in der Hauptstadt einer Religion zu leben. Ich nehme an, in Rom ist es genau dasselbe – oder in Canterbury«, fügte er mit einer netten, eleganten kleinen Verbeugung zu mir herüber hinzu. Dann schwieg er. Beide schwiegen sie. Ich gewann ganz deutlich den Eindruck, daß meine Gesellschaft unerwünscht war. Doch ich konnte der Versuchung, Pyle zu hänseln, nicht widerstehen – das ist nun einmal die Waffe der Schwäche, und ich war schwach. Ich besaß weder Jugend noch Ernst noch Unbescholtenheit, und keine Zukunft. So sagte ich: »Vielleicht nehme ich doch ein Sandwich.«
    »Oh, selbstverständlich«, sagte Pyle, »selbstverständlich.« Er hielt inne, ehe er sich zum Korb in seinem Wagen beugte.
    »Nein, nein«, sagte ich. »Das war nur ein Scherz. Ihr beide wollt ja allein sein.«
    »Keineswegs«, meinte Pyle. Er war einer der schlechtesten Lügner, die mir je begegnet waren – das war eine Kunst, die er offenbar nie geübt hatte. Er erklärte dem Kommandanten: »Thomas ist der beste Freund, den ich habe.«
    »Ich kenne Mr. Fowler«, sagte der Offizier.
    »Ich sehe Sie ja noch, bevor ich wegfahre, Pyle«, und ich entfernte mich in Richtung der Kathedrale. Dort konnte ich etwas Kühlung finden.
    Der heilige Victor Hugo in der Uniform der Französischen Akademie, mit einem Heiligenschein um seinen Dreispitz, wies auf einen edlen Sinnspruch, den Sun Yat Sen gerade auf eine Tafel schrieb, und dann befand ich mich im Mittelschiff des Doms. Es gab nirgends einen Sitzplatz außer dem päpstlichen Thron um den sich eine Kobra aus Gips schlang; der Marmorboden schimmerte wie eine Wasserfläche und in den Fenstern war kein Glas. Wir machen einen Käfig für die Luft, mit Löchern darin, ging es mir durch den Sinn, und in ganz ähnlicher Weise macht der Mensch einen Käfig für seine Religion – der Zweifel bleibt offen und dem Wetter preisgegeben, und die Glaubenssätze sind einer Unzahl von Auslegungen zugänglich. Meine Frau hatte ihren Käfig mit Löchern gefunden; mitunter beneidete ich sie darum. Zwischen Sonne und Luft gibt es einen Widerstreit: Ich lebte zuviel in der Sonne.
    Ich schritt durch das lange, öde Kirchenschiff – das war nicht das Indochina, das ich liebte. Drachen mit Löwenköpfen erklommen die Kanzel: An der Decke entblößte Christus sein blutendes Herz. Buddha saß da, wie Buddha immer dasitzt: mit leerem Schoß. Der Bart Konfuzius’ fiel schütter herab wie ein Wasserfall in der trockenen Jahreszeit. Das war Theater: Der

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