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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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feiern die Anhänger Caodais beim Heiligen Stuhl in Tanyin, achtzig Kilometer nordwestlich von Saigon, ein Fest zum soundsovielten Jahr der Befreiung oder der Eroberung oder sogar, um einen buddhistischen, konfuzianischen oder christlichen Festtag zu begehen. Die Religion Caodais war stets das Lieblingskapitel in meinen Kurzeinführungen für auswärtige Besucher gewesen: Der Caodaismus, die Erfindung eines Staatsbeamten aus Cochin, war eine Synthese der drei Religionen. Der Heilige Stuhl befand sich in Tanyin. Es gab einen Papst und weibliche Kardinäle. Weissagungen erfolgten mittels Schreibtäfelchen. Es gab einen heiligen Victor Hugo. Christus und Buddha blickten vom Deckengewölbe der Kathedrale herab auf ein Phantasiebild des Ostens im Stil Walt Disneys, auf Drachen und Schlangen in Technicolor. Neuankömmlinge waren von dieser Beschreibung stets entzückt. Wie hätte man ihnen die öde Leere der ganzen Sache erklären können? Die private Armee von fünfundzwanzigtausend Mann, bewaffnet mit Mörsern, die aus den Auspufftöpfen alter Kraftwagen hergestellt worden waren, Alliierte der Franzosen, die sich im Augenblick der Gefahr neutral erklärten? Zu diesen Feierlichkeiten, die dazu beitrugen, die Bauern ruhig zu halten, lud der Papst Mitglieder der Regierung ein (die auch erschienen, wenn die Caodaisten gerade an der Macht waren), das diplomatische Korps (das ein paar Zweite Legationssekretäre mit ihren Frauen oder Freundinnen entsandte) und den französischen Oberbefehlshaber, der einen Generalmajor von irgendeiner Schreibtätigkeit abkommandierte und mit seiner Vertretung betraute.
    Entlang der Route nach Tanyin ergoß sich ein rasanter Strom von Stabswagen und Autos mit dem Kennzeichen C. D. und an den exponierten Punkten der Straße hatten zu ihrem Schutz Fremdenlegionäre in den Reisfeldern Stellung bezogen. Dieser Tag bereitete dem französischen Oberkommando jedesmal einige Sorgen und den Caodaisten gab er eine gewisse Hoffnung, denn was hätte schmerzloser ihre eigene Loyalität unterstreichen können, als wenn ein paar prominente Gäste außerhalb ihres Territoriums erschossen wurden?
    Nach jedem Kilometer ragte gleich einem Rufzeichen ein kleiner, aus Lehm erbauter Wachtturm aus den ebenen Feldern empor, und alle zehn Kilometer gab es ein größeres Fort, das von einem Zug Legionäre, Marokkaner oder Senegal-Schützen besetzt war. Wie auf den Einfallstraßen nach New York hielten alle Autos dieselbe Geschwindigkeit ein – und wie auf der Einfahrt nach New York hatte man auch hier das Gefühl einer mühsam beherrschten Ungeduld, während man den Wagen vor sich und im Rückspiegel das Auto hinter dem eigenen beobachtete. Jeder wollte Tanyin erreichen, sich das Schauspiel ansehen und so rasch wie möglich wieder nach Saigon zurückkehren: Um sieben Uhr abends war Ausgangssperre.
    Aus den Reisfeldern des französischen Machtbereichs kam man in die Reisfelder der Hoa Haos und von dort in die Reisfelder der Caodaisten, die gewöhnlich mit den Hoa Haos Krieg führten: Nur die Flaggen auf den Wachttürmen wechselten. Kleine nackte Jungen saßen auf den Büffeln, die bis zum Bauch in den bewässerten Feldern wateten; wo die goldene Ernte reif war, siebten die Bauern in ihren flachen, muschelförmigen Hüten den Reis gegen kleine, gekrümmte Schutzdächer aus geflochtenem Bambusrohr. Die Autos fuhren rasch an ihnen vorüber, sie gehörten einer anderen Welt an.
    Jetzt erregten die Kirchen der Caodaisten in jedem Dorf die Aufmerksamkeit der Fremden: blaßblaue und rosa Stuckarbeit und über dem Tor ein riesiges Auge Gottes. Die Fahnen wurden immer zahlreicher; Scharen von Bauern zogen auf der Straße dahin: Wir näherten uns dem Heiligen Stuhl.
    In der Ferne ragte der Heilige Berg wie ein runder grüner Hut über Tanyin auf – das war der Ort, wo General Thé sich verschanzt hatte, der abtrünnige Stabschef, der erst kürzlich seine Absicht bekanntgegeben hatte, sowohl gegen die Franzosen als auch gegen die Vietminh zu kämpfen. Die Caodaisten unternahmen keinen Versuch, seiner habhaft zu werden, obwohl er einen ihrer Kardinäle gewaltsam entführt hatte; allerdings ging das Gerücht, er habe dies mit stillschweigender Duldung des Papstes getan.
    In Tanyin schien es immer heißer zu sein als irgendwo sonst im südlichen Delta; vielleicht war es der Wassermangel, vielleicht der Gedanke an die endlosen Zeremonien, der jeden von uns für alle anderen schwitzen ließ, für die Truppen, die strammstehen mußten,

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