Der stille Amerikaner
Bauern gäbe. Was ist mit den Gebildeten? Werden die glücklich sein?«
»O nein«, sagte ich, »wir haben sie nach unseren Ideen erzogen. Wir haben sie gefährliche Spiele gelehrt, und deshalb sitzen wir jetzt hier und hoffen, daß man uns nicht die Gurgel durchschneidet. Wir verdienen es, daß man sie uns durchschneidet. Ich wünschte nur, Ihr Freund Harding säße auch hier. Ich möchte wissen, wieviel er dafür übrig hätte.«
»York Harding ist ein sehr mutiger Mensch. Also in Korea …«
»Er war nicht im Militärdienst, oder? Er hatte eine Rückfahrkarte in der Tasche. Wenn man eine Rückfahrkarte hat, dann wird der Mut zu einer geistigen Übung, ähnlich der Selbstgeißelung eines Mönchs. Wieviel kann ich aushalten? Diese armen Teufel hier können nicht ins Flugzeug steigen und heimfahren. He!« rief ich zu ihnen hinüber. »Wie heißt ihr?« Ich dachte, die Kenntnis ihrer Namen würde sie irgendwie in den Kreis unserer Unterhaltung einbeziehen. Sie gaben keine Antwort: Sie sahen nur finster hinter ihren Zigarettenstummeln zu uns herüber. »Sie halten uns für Franzosen«, sagte ich.
»Das ist es ja gerade«, meinte Pyle. »Sie sollten nicht gegen Harding sein, Sie sollten gegen die Franzosen und ihren Kolonialismus sein.«
»Ismen und Kratien! Geben Sie mir Tatsachen. Ein Gummiplantagenbesitzer verprügelt einen Arbeiter – gut, ich bin gegen ihn. Er hat vom Kolonialminister nicht die Weisung erhalten, das zu tun. In Frankreich würde er wahrscheinlich seine Frau verprügeln. Ich habe einen Priester gesehen, so arm, daß er nur eine einzige Hose besaß; er arbeitete während einer Choleraepidemie fünfzehn Stunden am Tag, ging von Hütte zu Hütte, aß nichts als Reis und Salzfische und las mit einem alten Becher und einem Holzteller die Messe. Ich glaube nicht an Gott, und doch bin ich für diesen Priester. Weshalb sprechen Sie hier nicht von Kolonialismus?«
»Es ist Kolonialismus. Harding sagt, daß es oft gerade die guten Verwaltungsbeamten sind, die es schwer machen, ein an sich schlechtes System zu ändern.«
»Jedenfalls sterben tagtäglich die Franzosen – das ist kein geistiges Konzept. Die Franzosen verführen diese Leute nicht mit halben Lügen, wie eure Politiker das tun – und die unsrigen auch. Ich bin in Indien gewesen, Pyle, und ich weiß, welchen Schaden die Liberalen anrichten. Wir haben keine liberale Partei mehr – der Liberalismus hat alle anderen Parteien infiziert. Wir sind alle entweder liberale Konservative oder liberale Sozialisten: Wir alle haben ein reines Gewissen. Ich bin lieber ein Ausbeuter, der für das kämpft, was er ausbeutet, und mit ihm fällt. Sehen Sie sich doch die Geschichte Burmas an. Wir gehen hin und dringen in das Land ein. Die einheimischen Stämme unterstützen uns. Wir siegen. Aber genau so wie ihr Amerikaner waren wir damals keine Verfechter des Kolonialsystems. O nein: wir schlossen mit dem König Frieden, gaben ihm seine Provinzen zurück und ließen es geschehen, daß unsere Verbündeten ans Kreuz geschlagen und in Stücke gesägt wurden. Sie waren unschuldig. Sie hatten geglaubt, wir würden bleiben. Aber wir waren ja liberal, wir wollten ein reines Gewissen haben.«
»Das war vor langer Zeit.«
»Hier werden wir es genauso machen. Erst ermutigen wir sie und dann lassen wir sie im Stich – mit unzulänglicher Ausrüstung und einer Spielzeugindustrie.«
»Spielzeugindustrie?«
»Ja, Ihr Kunststoff.«
»Ach ja, ich verstehe.«
»Ich weiß nicht, wozu ich jetzt über Politik rede. Sie interessiert mich gar nicht, ich bin bloß Reporter. Ich bin nicht engagé.«
»Wirklich nicht?« sagte Pyle.
»Nur um ein Diskussionsthema zu haben – bloß damit uns diese verdammte Nacht schneller vergeht. Ich ergreife nicht Partei. Wer immer hier gewinnt, ich werde darüber berichten.«
»Wenn die anderen gewinnen, dann werden Sie Lügen berichten.«
»Gewöhnlich kann man das schon irgendwie umgehen, und ich habe in unseren Zeitungen auch nicht viel Achtung vor der Wahrheit bemerken können.«
Ich glaube, die Tatsache, daß wir dort saßen und uns unterhielten, machte den beiden Soldaten Mut: Vielleicht meinten sie, der Klang unserer weißen Stimmen – denn auch Stimmen haben eine Farbe, gelbe Stimmen singen, schwarze Stimmen gurgeln, während die unseren bloß reden – werde eine größere Zahl von Anwesenden vortäuschen und so die Vietminh vom Turm fernhalten. Sie griffen nach ihren Schüsseln und begannen wieder zu essen, und während sie
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