Der stille Amerikaner
mit den Eßstäbchen scharrten, beobachteten sie uns über den Rand der Näpfe hinweg.
»Sie meinen also, wir haben bereits verloren?«
»Das ist nicht der springende Punkt«, sagte ich. »Ich lege keinen besonderen Wert darauf, daß Sie gewinnen. Ich möchte, daß die beiden armen Tröpfe hier glücklich sind – weiter nichts. Ich wollte, sie müßten nicht erschrocken in finsterer Nacht hier kauern.«
»Für die Freiheit muß man kämpfen.«
»Ich habe in dieser Gegend noch keinen Amerikaner kämpfen sehen. Und was die Freiheit anlangt, so weiß ich nicht, was sie bedeutet. Fragen Sie die beiden doch.« Ich rief auf französisch zu den Männern hinüber: »La liberté – qu’est-ce que c’est la liberté?« Sie schluckten ihren Reis, starrten zu uns herüber und sagten kein Wort.
»Wollen Sie denn, daß alle Menschen über den gleichen Leisten geschlagen werden? Sie debattieren nur um des Debattierens willen. Sie sind ein Intellektueller. Sie treten genauso für die Bedeutung des Individuums ein wie ich – oder Harding«, sagte Pyle.
»Warum haben wir sie erst jetzt entdeckt?« fragte ich. »Vor vierzig Jahren redete kein Mensch davon.«
»Damals war sie auch noch nicht bedroht.«
»Die unsere war nicht bedroht, o nein, aber wer kümmerte sich um die Individualität eines einzelnen Mannes im Reisfeld? Und wer kümmert sich heute darum? Der einzige, der ihn als Mensch behandelt, ist der politische Kommissar. Der sitzt bei ihm in seiner Hütte, erkundigt sich nach seinem Namen und hört sich seine Beschwerden an; er opfert vielleicht eine Stunde am Tag, um ihn zu lehren – was, ist Nebensache, er wird wie ein Mensch behandelt, wie jemand, der wertvoll ist. Hören Sie auf, im Osten gedankenlos das Schlagwort von der Bedrohung der Seele des Individuums nachzuplappern. Hier würden Sie sich damit auf der falschen Seite befinden – es sind die anderen, die für die Rechte des Individuums eintreten, wir treten nur für den gemeinen Soldaten Nummer 23.987 ein, die kleinste Einheit in der globalen Strategie.«
»Die Hälfte von dem, was Sie da sagen, meinen Sie gar nicht so«, sagte Pyle unbehaglich.
»Wahrscheinlich drei Viertel. Ich bin schon lange in diesem Land. Wissen Sie, es ist gut, daß ich nicht engagé bin. Sonst könnte ich in Versuchung geraten, gewisse Dinge zu tun – denn hier im Osten – nun, ich mag Ihren Ike nicht. Ich mag – die beiden Kerle hier. Dies ist ihr Land. Wie spät ist es? Meine Uhr ist stehengeblieben.«
»Halb neun vorbei.«
»Noch zehn Stunden, dann können wir aufbrechen.«
»Es wird ziemlich kalt werden«, meinte Pyle; er zitterte.
»Das hätte ich nie erwartet.«
»Rings um uns ist Wasser. Ich habe eine Decke im Wagen. Die wird genügen.«
»Ist es nicht gefährlich?«
»Es ist noch zu früh für die Vietminh.«
»Lassen Sie mich gehen.«
»Nein, ich bin an die Dunkelheit besser gewöhnt.«
Als ich aufstand, hörten die Soldaten zu essen auf. »Je reviens, tout de suite«, sagte ich zu ihnen. Ich ließ die Beine in die Öffnung der Falltür baumeln, tastete nach der Leiter und stieg hinunter. Es ist merkwürdig, wie ein Gespräch beruhigt, besonders eines über abstrakte Dinge: Es scheint die seltsamste Umgebung zu normalisieren. Ich hatte keine Angst mehr: Es war, als hätte ich ein Zimmer verlassen, in das ich zurückkehren würde, um die Unterhaltung fortzusetzen – der Wachtturm war die Rue Catinat, die Bar des »Majestic« oder gar ein Zimmer in der Nähe des Gordon Square.
Ich stand eine Minute lang unter dem Turm, damit sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Es gab Sternenlicht, aber keinen Mondschein. Mondschein erinnert mich immer an eine Leichenhalle, an den kalten Widerschein einer ungeschützten Glühbirne auf einer Marmorplatte; das Sternenlicht hingegen ist voll Leben, ist niemals still; fast scheint es, als ob jemand aus jenen unermeßlichen Räumen uns eine Botschaft des guten Willens zukommen lassen wollte, denn schon die Namen der Sterne klingen freundlich. Venus ist jede Frau, die wir lieben; die beiden Bären sind die Bären aus der Kindheit, und vermutlich ist das Kreuz des Südens für jene, die gleich meiner Frau gläubig sind, eine Lieblingshymne oder ein Gebet beim Schlafengehen. Einmal zitterte ich so, wie es Pyle zuvor getan hatte. Aber die Nacht war heiß genug, nur die seichten Wasserflächen beiderseits der Straße gaben ihrer Schwüle gleichsam einen frostigen Überzug. Ich wollte zum Wagen gehen, und während ich so
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