Der stille Amerikaner
und war ein dunkler Schatten am Straßenrand. Die Dunkelheit, sobald sie einmal kam, fiel herab wie ein Stein. »Bleiben Sie dort, bis ich Sie rufe«, sagte ich und überlegte, ob der Posten etwa die Leiter hochgezogen hatte; doch da stand sie – obwohl auch für den Feind benutzbar, bildete sie den einzigen Fluchtweg der Besatzung. Ich begann hinaufzuklettern.
So oft habe ich gelesen, woran die Leute im Augenblick der Furcht denken: an Gott, an ihre Familie, an eine Frau. Ich bewundere ihre Selbstbeherrschung. Ich dachte an gar nichts, nicht einmal an die Falltür über mir. Für die nächsten Sekunden hörte ich zu existieren auf: Ich war nichts als pure Angst. Am oberen Ende der Leiter stieß ich mit dem Kopf an, weil die Angst keine Leitersprossen zählen noch hören oder sehen kann. Dann hob ich den Kopf über den Lehmboden, niemand schoß auf mich, und die Angst wich von mir.
3
Auf dem Boden brannte ein winziges Öllämpchen. An der Wand kauerten zwei Männer und beobachteten mich. Der eine hatte eine Maschinenpistole, der andere ein Gewehr; aber beide waren genauso erschrocken, wie ich es gewesen war. Sie sahen wie Schuljungen aus; doch bei den Vietnamesen bricht das Alter so plötzlich herein wie der Sonnenuntergang – heute sind sie Knaben und morgen Greise. Ich war froh, daß meine Hautfarbe und der Schnitt meiner Augen als Passierschein galten – jetzt würden sie nicht einmal aus Angst schießen.
Ich erhob mich aus der Öffnung im Boden, während ich beruhigend auf sie einredete, ihnen erzählte, daß mein Auto draußen stand und mir das Benzin ausgegangen war. Vielleicht hatten sie irgendwo im Turm ein paar Liter aufbewahrt, die ich ihnen abkaufen konnte. Es kam mir eher unwahrscheinlich vor, als ich mich umsah. In dem kleinen runden Raum gab es nichts außer einer Kiste Munition für die Maschinenpistole, einem kleinen hölzernen Bettgestell und zwei Tornistern, die an einem Nagel in der Wand hingen. Näpfe mit Resten von Reis und ein paar hölzerne Eßstäbchen bewiesen, daß die beiden ohne viel Appetit gegessen hatten.
»Gerade soviel, um das nächste Fort zu erreichen?« fragte ich.
Die Männer kauerten an der Wand, und der eine – der mit dem Gewehr – schüttelte den Kopf.
»Wenn Sie uns nichts geben können, dann müssen wir die Nacht hier verbringen.«
»C’est défendu.«
»Von wem?«
»Sie sind Zivilist.«
»Kein Mensch wird mich zwingen, unten auf der Straße sitzenzubleiben und mir die Kehle durchschneiden zu lassen.«
»Sind Sie Franzose?«
Nur einer der Männer hatte gesprochen. Der andere saß da, den Kopf zur Seite gewandt, und beobachtete die Schießscharte in der Wand. Er konnte unmöglich mehr sehen als ein Stück Himmel in der Größe einer Postkarte: Er schien zu horchen, und so begann auch ich zu horchen. Die Stille füllte sich mit Geräuschen: Laute, denen man schwerlich einen Namen hätte geben können – ein Knacken, ein Knistern, ein Rascheln, etwas, das wie ein Hüsteln klang, und ein Flüstern. Dann hörte ich Pyle: Er war offenbar zum unteren Ende der Leiter gekommen. »Alles in Ordnung, Thomas?«
»Kommen Sie herauf!« rief ich zurück. Er begann die Leiter zu erklimmen, und der stumme Soldat fuhr mit seiner Maschinenpistole herum – ich glaube nicht, daß er ein einziges Wort gehört hatte: Es war eine ungeschickte, nervöse Reflexbewegung. Mir wurde klar, daß er vor Angst gelähmt war. Ich schnauzte ihn an wie ein Feldwebel: »Leg die Knarre hin!«, und ich verwendete einen unflätigen französischen Ausdruck, von dem ich annahm, daß er ihm geläufig war. Der Mann gehorchte automatisch. Inzwischen war Pyle heraufgekommen. Ich sagte: »Sie bieten uns den sicheren Aufenthalt im Turm bis zum Morgen an.«
»Fein«, sagte Pyle. Etwas schien ihm Kopfzerbrechen zu bereiten. Er sagte: »Sollte eigentlich nicht einer von diesen zwei Schafsköpfen Wache schieben?«
»Sie ziehen es vor, nicht angeschossen zu werden. Ich wünschte, Sie hätten etwas Stärkeres zum Trinken mitgebracht als Limonensaft!«
»Nächstes Mal werde ich das wohl tun«, sagte Pyle.
»Wir haben eine lange Nacht vor uns!« Nun, da Pyle bei mir war, vernahm ich die Geräusche nicht mehr. Selbst die beiden Soldaten schienen weniger verkrampft zu sein.
»Was geschieht, wenn die Vietminh sie angreifen?« fragte Pyle.
»Sie werden einen Schuß abgeben und davonrennen. Jeden Morgen können Sie es im Extrème-Orient lesen: ›In der vergangenen Nacht geriet südwestlich von Saigon
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