Der stille Amerikaner
auf der Straße stand, glaubte ich einen Augenblick, er sei nicht mehr da. Das erschütterte mein Selbstvertrauen, selbst noch, als mir einfiel, daß er ja dreißig Meter vor dem Turm ausgerollt war. Unwillkürlich duckte ich mich beim Gehen: Ich hatte das Gefühl, auf diese Weise weniger leicht aufzufallen.
Ich mußte den Kofferraum aufschließen, um an die Decke zu gelangen, und das Klicken und Quietschen in der nächtlichen Stille ließ mich zusammenfahren. Es behagte mir gar nicht, als einziger ein Geräusch zu machen in dieser nächtlichen Dunkelheit, die voll von Menschen sein mußte. Die Decke über die Schulter geworfen, ließ ich den Deckel des Kofferraums jetzt viel behutsamer herab, als ich ihn vorhin gehoben hatte; und dann, gerade als der Verschluß einschnappte, flammte der Himmel in Richtung Saigon hell auf, und über der Straße kam der Donner einer gewaltigen Explosion herangerollt. Ein Maschinengewehr ratterte einmal und noch einmal ganz kurz und verstummte wieder, ehe der Donner verhallt war. Ich dachte: Jemanden hat es jetzt erwischt! Und aus weiter Ferne vernahm ich Stimmen, die vor Schmerz, aus Angst oder vielleicht sogar im Triumph aufschrien. Ich weiß nicht, weshalb, aber irgendwie hatte ich die ganze Zeit mit einem Angriff von jenem Stück der Straße her gerechnet, das wir bereits passiert hatten. Einen Moment lang fand ich es unfair, daß die Vietminh dort vorne sein sollten, zwischen uns und Saigon. Es war, als wären wir unbewußt der Gefahr entgegengefahren, statt von ihr weg, genauso, wie ich jetzt auf meinem Weg zum Turm aufs neue ihr entgegenging. Ich ging, weil es weniger Lärm verursachte, als wenn ich gelaufen wäre, aber mein Körper drängte mich zu rennen.
Am Fuß der Leiter angekommen, rief ich zu Pyle hinauf: »Ich bin es – Fowler!« (Nicht einmal jetzt konnte ich es über mich bringen, ihm gegenüber meinen Vornamen zu gebrauchen.) Oben im Turm hatte sich die Szene verändert. Die Reisnäpfe standen wieder auf dem Fußboden; der eine Soldat hatte sein Gewehr an der Hüfte, er saß mit dem Rücken zur Wand und starrte Pyle an; und Pyle kniete in einiger Entfernung von der gegenüberliegenden Wand, den Blick auf die Maschinenpistole geheftet, die zwischen ihm und dem zweiten Soldaten auf dem Fußboden lag. Es sah so aus, als habe er begonnen, zu der Waffe hinzukriechen, sei aber unterwegs aufgehalten worden. Der Arm des zweiten Wachtpostens war nach der Maschinenpistole ausgestreckt: Keiner von den dreien hatte gekämpft oder auch nur mit Gewalt gedroht. Das Ganze ähnelte sehr jenem Kinderspiel, bei dem man ein Ziel erreichen soll, aber nicht in Bewegung gesehen werden darf, weil man sonst zum Ausgangspunkt zurückgeschickt wird.
»Was geht hier vor?« sagte ich.
Die beiden Wächter blickten auf mich, und Pyle sprang vor und zog die Maschinenpistole an sich.
»Ist das ein Spiel?« fragte ich, »Ich traue ihm nicht, wenn er die Waffe hat«, sagte Pyle, »und es kommen plötzlich die Vietminh.«
»Jemals mit einer Maschinenpistole geschossen?«
»Nein.«
»Das ist schön. Ich auch nicht. Ich bin froh, daß sie geladen ist – wir wüßten gar nicht, wie man sie nachlädt.«
Die beiden Wachen hatten den Verlust ihrer Waffe mit Fassung hingenommen. Der eine senkte sein Gewehr und legte es quer über seine Schenkel; der andere sank an der Wand in sich zusammen und schloß die Augen wie ein Kind, das sich für unsichtbar hält, wenn es selbst nichts sieht. Vielleicht war er froh, die Verantwortung los zu sein. Irgendwo in weiter Ferne begann von neuem das Maschinengewehr zu stottern – drei kurze Feuerstöße und dann Stille. Der zweite Wachtposten preßte die Augenlider noch fester zusammen.
»Sie wissen nicht, daß wir sie nicht bedienen können«, sagte Pyle.
»Angeblich stehen die beiden auf unserer Seite.«
»So. Und ich meinte, für Sie gebe es keine Seite.«
»Touché!« sagte ich. »Wenn das nur die Vietminh wüßten.«
»Was spielt sich dort draußen ab?«
Wiederum zitierte ich die morgige Ausgabe der Zeitung ›Extrème-Orient‹: »In der vergangenen Nacht wurde fünfzig Kilometer von Saigon ein Vorposten angegriffen und vorübergehend von Freischärlern der Vietminh besetzt.«
»Glauben Sie, daß wir in den Feldern sicherer wären?«
»Es wäre vor allem schrecklich naß.«
»Sie scheinen sich gar keine Sorgen zu machen«, sagte Pyle.
»Ich habe eine Heidenangst – aber die Dinge stehen besser, als sie sein könnten. In der Regel greifen sie in
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