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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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einer Nacht nicht mehr als drei Wachtposten an. Unsere Chancen haben sich also wesentlich gebessert.«
    »Was ist das?«
    Es war das Dröhnen eines schweren Kraftfahrzeugs, das unten auf der Straße in Richtung Saigon fuhr. Ich trat an die Schießscharte und blickte hinab; in diesem Augenblick fuhr unten ein Panzer vorbei.
    »Die Patrouille«, sagte ich. Das Geschütz im Turm des Tanks schwenkte erst nach der einen, dann nach der anderen Seite. Ich wollte hinunterrufen, doch welchen Zweck hätte das gehabt? Sie hatten keinen Platz für zwei nutzlose Zivilisten. Der Lehmboden zitterte, als der Tank vorüberrumpelte, und dann war er verschwunden. Ich schaute auf die Uhr – acht Uhr einundfünfzig – und wartete; ich wollte die Zeit feststellen, die bis zum Aufflammen des Mündungsfeuers verstreichen würde. Es war wie die Berechnung der Distanz eines Blitzes mit Hilfe des Zeitabstands, in dem der Donnerschlag folgte. Beinahe vier Minuten vergingen, ehe das Geschütz das Feuer eröffnete. Einmal meinte ich, daß es durch eine Panzerabwehrwaffe erwidert werde, dann aber war alles still.
    »Sowie sie zurückkommen, könnten wir ihnen ein Signal geben, damit sie uns bis zum Lager mitnehmen«, sagte Pyle.
    Eine Explosion erschütterte den Turm. »Falls sie zurückkommen«, sagte ich, »das klang nämlich wie eine Mine.« Als ich wieder auf die Uhr sah, war es neun Uhr fünfzehn, und der Panzer war nicht zurückgekehrt. Es war auch nicht mehr geschossen worden.
    Ich setzte mich neben Pyle und streckte die Beine aus. »Wir sollten lieber versuchen, ein wenig zu schlafen. Etwas anderes können wir nicht tun.«
    »Die Posten machen mich nicht glücklich«, sagte Pyle.
    »Die sind in Ordnung, solange die Vietminh nicht auftauchen. Klemmen Sie die Maschinenpistole zur Sicherheit unter Ihre Beine.« Ich schloß meine Augen und suchte mir einzubilden, ich sei ganz woanders – säße aufrecht in einem jener Abteile vierter Klasse, die es vor Hitlers Machtergreifung auf den deutschen Eisenbahnen gab, in jenen Zeiten, als man jung war und die ganze Nacht aufrecht sitzen konnte, ohne melancholisch zu werden, damals als Wachträume noch voll Hoffnung und nicht voll Angst waren. Dies war die Stunde, da Phuong immer meine Opiumpfeifen vorzubereiten begann. Ich fragte mich, ob mich ein Brief erwartete, und hoffte auf das Gegenteil, weil ich wußte, was ein solcher Brief enthalten würde; und solange keiner kam, konnte ich wachend vom Unmöglichen träumen.
    »Schlafen Sie?« fragte mich Pyle.
    »Nein.«
    »Glauben Sie nicht, daß wir die Leiter einziehen sollten?«
    »Ich beginne langsam zu begreifen, warum die beiden es nicht tun. Sie ist der einzige Fluchtweg.«
    »Ich wollte, der Panzer käme zurück.«
    »Jetzt kommt er nicht mehr.«
    Ich bemühte mich, nur in größeren Abständen auf die Uhr zu sehen, doch diese Abstände waren nie so lange, wie sie mir erschienen: neun Uhr vierzig, zehn Uhr fünf, zehn Uhr zwölf, zehn Uhr zweiunddreißig, zehn Uhr einundvierzig.
    »Sind Sie wach?« fragte ich Pyle.
    »Ja.«
    »Woran denken Sie?«
    Er zögerte. »An Phuong«, sagte er.
    »Ja?«
    »Ich überlegte gerade, was sie jetzt wohl tut.«
    »Das kann ich Ihnen sagen. Sie wird mittlerweile zu dem Schluß gekommen sein, daß ich die Nacht in Tanyin verbringe – es wäre nicht das erste Mal. Sie wird auf dem Bett liegen, neben sich ein brennendes Räucherstäbchen, um die Moskitos fernzuhalten, und wird sich die Bilder in einer alten Nummer von Paris-Match ansehen. Wie die Franzosen hat sie ein leidenschaftliches Interesse für die englische Königsfamilie.«
    Voll Sehnsucht sagte er: »Es muß wunderbar sein, es so genau zu wissen«, und ich konnte mir in der Dunkelheit seine sanften Hundeaugen vorstellen. Seine Eltern hätten ihn Fido nennen sollen, nicht Alden.
    »So genau weiß ich es natürlich nicht – aber vermutlich stimmt es. Es hat keinen Sinn, eifersüchtig zu sein, wenn man die Dinge nicht ändern kann. ›Keine Barrikade für einen Bauch‹.«
    »Manchmal verabscheue ich Ihre Ausdrucksweise, Thomas. Wissen Sie, wie mir Phuong erscheint? Taufrisch – wie eine Blume.«
    »Arme Blume!« meinte ich. »Rund um sie wächst eine Menge Unkraut.«
    »Wo haben Sie sie kennengelernt?«
    »Sie war Eintänzerin im ›Grand Monde‹.«
    »Eintänzerin!« rief er aus, als ob dieser Gedanke für ihn geradezu schmerzlich sei.
    »Keine Sorge. Das ist ein durchaus achtbarer Beruf«, sagte ich.
    »Sie haben so schrecklich viel Erfahrung,

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