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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Thomas.«
    »Ich habe schrecklich viele Jahre auf dem Buckel. Wenn Sie mein Alter erreichen …«
    »Ich war noch nie mit einer Frau zusammen«, sagte er, »nicht richtig. Nicht, was man ein wirkliches Erlebnis nennen würde.«
    »Bei Ihnen in Amerika scheint man sehr viel Energie damit zu verschwenden, daß man den Frauen nachpfeift.«
    »Ich habe das noch niemandem erzählt.«
    »Sie sind noch jung. Sie brauchen sich deshalb nicht zu schämen.«
    »Haben Sie eine Menge Frauen gehabt, Fowler?«
    »Ich weiß nicht, was Sie sich unter einer Menge vorstellen. Nicht mehr als vier Frauen sind in meinem Leben für mich von irgendwelcher Bedeutung gewesen – oder ich für sie. Bei den etlichen vierzig anderen fragt man sich hinterher, warum man es tat. Weil man glaubt, man sei es seiner Gesundheit schuldig, oder aus dem Gefühl einer gesellschaftlichen Verpflichtung. Beide Annahmen sind irrig.«
    »Sie glauben also, daß sie irrig sind?«
    »Ich wollte, ich könnte jene Nächte wiederhaben. Ich bin noch immer verliebt, Pyle, und habe den Höhepunkt meines Lebens doch schon hinter mir. Oh, natürlich spielte auch der Stolz eine Rolle. Es dauert lange, bis man den Stolz aufgibt, den man daraus bezieht, daß man begehrt wird. Gott allein weiß, warum wir diesen Stolz haben, wenn wir uns umblicken und sehen, wer alles begehrt wird.«
    »Sie glauben nicht, daß mit mir etwas nicht in Ordnung ist, nicht wahr, Thomas?«
    »Nein, Pyle.«
    »Das heißt nicht, daß ich es nicht brauche, Thomas, wie jeder andere auch. Ich bin nicht – abwegig.«
    »Keiner von uns braucht es so, wie wir behaupten. Es spielt da ein gutes Stück Selbsthypnose mit. Heute weiß ich, daß ich niemanden brauche – außer Phuong. Doch das lernt man erst mit der Zeit. Wenn Phuong nicht da wäre, könnte ich ein ganzes Jahr lang ohne eine ruhelose Nacht leben.«
    »Sie ist aber da«, erwiderte er mit einer Stimme, die ich kaum vernehmen konnte.
    »Am Anfang ist man völlig wahllos und am Ende gleicht man dem eigenen Großvater, treu ergeben einer einzigen Frau.«
    »Da wirkt es wohl ziemlich naiv, wenn man so anfängt …«
    »Durchaus nicht.«
    »Das steht aber nicht im Kinsey-Report.«
    »Gerade deshalb ist es nicht naiv.«
    »Wissen Sie, Thomas, daß es mir guttut, hier zu sitzen und mit Ihnen zu plaudern. Irgendwie kommt es mir jetzt gar nicht mehr gefährlich vor.«
    »Dasselbe Gefühl hatten wir in London während der deutschen Luftangriffe, wenn eine plötzliche Kampfpause eintrat. Aber sie kamen immer wieder.«
    »Wenn jemand Sie fragte, was Ihr stärkstes sexuelles Erlebnis war, was würden Sie sagen?«
    Die Antwort darauf wußte ich sofort. »Als ich eines frühen Morgens im Bett lag und einer Frau in einem roten Morgenmantel zusah, wie sie sich das Haar bürstete.«
    »Joe meint, sein stärkstes Erlebnis war, mit einer Chinesin und mit einer Negerin zugleich im Bett zu sein.«
    »Mit zwanzig Jahren hätte ich mir auch so etwas ausgedacht.«
    »Joe ist fünfzig.«
    »Ich frage mich, in welche geistige Altersstufe man ihn beim Militär eingereiht hat.«
    »War Phuong die Frau im roten Morgenmantel?«
    Ich wünschte, er hätte diese Frage nicht gestellt.
    »Nein«, sagte ich, »die Frau kam vorher. Damals, als ich meine Frau verließ.«
    »Und was geschah dann?«
    »Ich verließ auch diese Frau.«
    »Warum?«
    Ja, warum? »Wir sind Narren«, sagte ich, »wenn wir lieben. Ich hatte panische Angst, sie zu verlieren. Ich meinte zu sehen, daß sie sich allmählich veränderte – ob es tatsächlich der Fall war, weiß ich nicht; aber ich konnte die Ungewißheit schließlich nicht mehr ertragen. So stürmte ich vorwärts, dem Ende entgegen – wie ein Feigling auf den Feind zurennt und eine Auszeichnung erringt. Ich wollte den Tod hinter mir haben.«
    »Den Tod?«
    »In gewissem Sinn war es ein Tod. Dann kam ich in den Osten.«
    »Und fanden Phuong?«
    »Ja.«
    »Und haben Sie bei Phuong nicht dasselbe Gefühl?«
    »Nein, nicht dasselbe. Sehen Sie, jene andere liebte mich. Ich fürchtete, die Liebe zu verlieren. Jetzt fürchte ich nur, Phuong zu verlieren.« Warum habe ich das gesagt, fragte ich mich. Er bedurfte wahrhaftig keiner Ermutigung von meiner Seite.
    »Aber sie liebt Sie doch, nicht wahr?«
    »Nicht auf dieselbe Weise. Das liegt nicht im Wesen dieser Frauen. Das werden Sie noch entdecken. Es ist eine abgedroschene Phrase, sie als Kinder zu bezeichnen – jedoch sie haben eine Eigenschaft, die durchaus kindlich ist: Sie lieben einen als

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