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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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zwölf. In sechs Stunden würde der Wecker klingeln, und dann wieder die Hetze. Hätte ich denn im Keller gehört, wenn er noch einmal zurückgekommen wäre? Wahrscheinlich nicht. Ich hatte ja die Tür zur Waschküche hinter mir geschlossen. Ich wußte genau, daß ich mich nur selbst verrückt machte. Daß ich statt dessen dankbar und erleichtert hätte sein müssen. Der vierte Tag, ein neuer Mieter, hundert Mark mehr im Monat. Ich war nicht dankbar und auch nicht erleichtert. Kurz vor zwölf stand ich auf, ging zur Tür und drehte den Schlüssel um. Ich fühlte mich dabei wieder wie ein Idiot, wie einer, der seinen eigenen Augen und Ohren nicht traut, aber danach schlief ich rasch ein.
    Dienstags kam Hedwig tatsächlich zur Arbeit. Sie sah schlimm aus, ganz grau im Gesicht, übernächtigt und verweint. Ihre Haare hingen so strähnig, als hätte sie sie seit Tagen nicht mehr gewaschen. Dabei hatte sie immer soviel Wert auf ein gepflegtes Aussehen gelegt. Sie war nicht in der Lage, etwas Vernünftiges zu tun. Die meiste Zeit saß sie im Aufenthaltsraum und wartete nur darauf, daß sich jemand für ein paar Minuten zu ihr setzte. Der Abteilungsleiter sprach mehrfach mit ihr, versuchte, ihr ein bißchen Mut zu machen. Das Kind würde sicher bald aufgegriffen. Hedwig regte sich darüber auf, weil er aufgegriffen sagte und nicht gefunden.
    »Sie ist nicht weggelaufen«, erklärte Hedwig bestimmt, als ich Pause machte.
    »Sie ist schon sehr vernünftig auf ihre Art, fast ein bißchen gerissen, wenn du verstehst, was ich meine. Sie ist nicht schlecht, so meine ich das nicht. Aber sie hätte etwas mitgenommen, wenn sie weggelaufen wäre. Ihren Anorak und das Geld aus dem Schrank. Ich bin ganz sicher, daß sie das Geld genommen hätte. Sie weiß ganz genau, daß man ohne Geld nicht weit kommt.« Ich wußte nicht, was ich ihr antworten sollte. Gestern abend, erzählte sie weiter, sei noch einmal die Polizei bei ihr gewesen und jemand vom Jugendamt. Die von der Polizei seien ganz nett gewesen. Auch der vom Jugendamt hätte ihr nicht direkt Vorwürfe gemacht, aber doch durchblicken lassen, daß Nadine unter anderen Umständen wohlbehalten bei ihr im Zimmer sitzen würde. Hedwig weinte fast, als sie weitersprach.
    »Die tun so, als hätte ich sie auf dem Gewissen, und sonst tun sie überhaupt nichts. Statt nach ihr zu suchen, laufen sie in der Gegend herum und befragen die Leute. Mit ihren Lehrern haben sie gesprochen, mit sämtlichen Leuten im Haus, natürlich mit meinen Schwiegereltern. Von allen haben sie nur das gleiche gehört. Der Typ vom Jugendamt sagte, Nadine hätte ein Dutzend guter Gründe gehabt, wegzulaufen.« Sie schaute mich an, als ob ich das Kind wieder herbeizaubern könne. Schluckte einmal trocken und atmete zitternd ein und aus.
    »Was hätte ich denn tun sollen, Sigrid? Ich konnte mich doch nicht auf meinen Hintern setzen und Gott einen guten Mann sein lassen. Ich hab’s doch versucht. Ich bin ja zum Sozialamt gegangen. Ich hab’ denen gesagt, daß ich nur noch für halbe Tage arbeiten kann und daß wir davon nicht leben können. Und weißt du, was die mir gesagt haben? So einfach sei das nicht. Ich hätte ja auch bisher den ganzen Tag gearbeitet. Ich hätte es ja so lassen können, wie es war. Und ein elfjähriges Mädchen brauche keinen Wachhund mehr.« Hedwig tat mir furchtbar leid. Und die ganze Zeit über mußte ich denken, daß Nicoles Wachhund ausgezogen war. Ich hatte sie vor lauter Herr Genardy gar nicht gefragt, ob sie montags tatsächlich nach der Schule zu meiner Mutter gegangen war. Aber ich mußte wissen, ob sie mir gehorchte, jetzt, sofort, auf der Stelle. Ich wollte nicht eines Tages so sitzen müssen wie Hedwig und mich fragen, was mein Kind tagsüber gemacht hatte. Meine Pause war noch nicht ganz vorbei. Ich nutzte die letzten Minuten, um bei meiner Mutter anzurufen. Sie war nicht daheim. Ich rief bei meiner Schwester an. Wie erwartet saß Mutter noch bei ihr.
    »Jetzt reg dich nicht auf«, sagte Anke,»Nicole ist schon so vernünftig. Gestern kam sie zu mir, weil Mutter nicht daheim war. Ich habe ihr gesagt, daß sie am besten immer gleich zu mir kommt. Hat sie dir das denn nicht ausgerichtet?« Kein Wort hatte Nicole davon verlauten lassen. Vermutlich war Herr Genardy interessanter gewesen. Anke lachte leise.
    »Macht ja nichts. Da kenne ich noch andere, die ihn interessanter finden. Jetzt weißt du es jedenfalls. Sie kann bei mir essen und ihre Schularbeiten machen. Gestern hat das

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