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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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prima geklappt, ich mußte ihr nicht einmal helfen. Noch bin ich daheim. Und ich bleibe auch kein Jahr in der Klinik. Sie war gestern bis kurz vor vier bei mir. Dann ist sie zu ihrer Freundin gegangen. Dagegen hast du ja wohl nichts. Sie ist ja auch sonst immer am Nachmittag zu den Kollings gegangen.« War sie nicht, meist war Denise zu uns gekommen. Nicht zu uns, zu Nicole und Frau Humperts, wegen der kleinen Brüder, wegen des Vaters, der Schichtarbeit machte und oft tagsüber schlafen mußte, und weil bei uns mehr Platz war. Ich hatte bis dahin nicht daran gedacht, Anke zu fragen. Und ich hatte bestimmt nicht damit gerechnet, daß sie in ihrer Situation von sich aus ihre Hilfe anbot. Aber ich war sehr erleichtert, vor allem, weil bei Anke die Türklingel anschlug, noch während wir miteinander sprachen. Weil Anke anschließend sagte:
    »Ah, da ist sie ja. Willst du selbst mit ihr sprechen?« Meine Erleichterung hielt nicht lange vor. Es war wie eine Wagenladung Steine, die mir jemand vor die Tür gekippt hatte. Ich sah einfach keinen Weg mehr ins Freie. Ich sah nur Hedwigs Gesicht, Nicole in ein altes, grünes Auto steigen, die leergeklopfte Scheibe der Uhr, einen dunklen Türspalt, Ungewißheit. Als ich morgens zum Bus gelaufen war, hatte ich ein grünes Auto gesehen, in einer Querstraße, eingeparkt zwischen anderen Wagen, so daß es unmöglich war, einen Blick auf das Kennzeichen zu werfen. Ich hatte im Vorbeilaufen nicht einmal genau erkennen können, um welchen Typ es sich handelte. Und zuerst hatte ich dem Auto auch überhaupt keine Bedeutung beigemessen. Das kam erst, als ich im Zug saß. Und da kam es wie eine Gänsehaut. Er ist zurückgekommen, während du in der Waschküche warst. Dafür kannst du deine Hand ins Feuer legen, Sigrid. Denk einmal nach! Es ist niemand gestorben, es ist nur einer gekommen. Und der kam am dritten Tag. Das hat nichts Gutes zu bedeuten. Da hast du dir was eingebrockt. Du hast dir nicht einmal seinen Personalausweis zeigen lassen. Du weißt überhaupt nicht, wer da bei dir einzieht – eingezogen ist, er hat gesagt, er wohnt jetzt bei uns. Ich sagte mir unentwegt, daß ich in der Querstraße nur ein grünes Auto gesehen hatte, irgendein altes, grünes Auto. Von der Form her sahen sie doch fast alle gleich aus. Aber wenn ich nicht nur irgendein altes, grünes Auto gesehen hatte? Dann war er auch jetzt da! Und ich hatte die Wohnzimmertür nicht abgeschlossen. Das hatte ich noch nie gemacht, nicht mal, wenn Frau Humperts Besuch bekam und ich aus dem Haus ging. Ich hätte das sonntags alles klären müssen. Mir seinen Personalausweis zeigen lassen, mir seine Anschrift notieren, ihn auf den nächsten Tag vertrösten.
    »Es tut mir sehr leid, Herr Genardy, ich bin heute nicht in der Stimmung, Verträge abzuschließen.« Ich hätte auch sagen können:
    »Misch dich nicht in meine Angelegenheiten, Mutter.« Und dann zu ihm:
    »Ich hatte ausdrücklich ›alleinstehende, ältere Dame‹ in die Annonce setzen lassen, und ich hatte gute Gründe dafür.« Das hatte ich nicht getan. Und jetzt konnte ich ihm kaum noch Vorschriften machen, wann er zu kommen oder zu gehen hatte. Daß er seine Tür schließen mußte, wenn er da war. Oder daß er bis zehn Uhr in der Nacht in der Küche herumlaufen, daß er ein paarmal zur Toilette gehen mußte, damit ich ihn hörte. Abends stand das grüne Auto wieder vor dem Haus, ein Kölner Kennzeichen, natürlich ein Kölner Kennzeichen. Frau Hofmeister fegte den Gehweg ab, das tat sie dreimal in der Woche. Als ich näherkam, sprach sie mich an.
    »Da haben Sie aber Glück gehabt, was? Das ging ja schnell mit der Wohnung.« Sie war neugierig, mit Frau Humperts hatte sie sich ausgezeichnet verstanden, oft nachmittags zusammengesessen, einen Kaffee getrunken, geplaudert. Frau Hofmeister hatte ebenso wie ich bedauert, daß Frau Humperts auszog. Jetzt interessierte sie sich verständlicherweise für den Nachfolger. Viel gesehen von Herrn Genardy hatte sie noch nicht. Gestern sei er mit einem Leihwagen hier gewesen, sagte sie, einem kleinen Transporter. Er habe ein paar Sachen ins Haus getragen, alten Kram, ein Schränkchen und einen Sessel, ein paar Kartons, Tisch und Stühle. Dann sei er wieder gefahren.
    »Was macht er denn beruflich? Er ist doch sicher noch nicht auf Rente, so alt sah er nicht aus.«
    »Er ist bei der Post.«
    »Aha«, meinte Frau Hofmeister nur, betrachtete das alte Auto mit einem undefinierbaren Blick. Dann wünschte sie mir noch einen

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