Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
retten.
Also richtete sie ihren Blick auf einen Punkt ein paar Zentimeter links von Euclides Peixotos Gesicht und erzählte ihm so gleichgültig wie möglich, dass Oscar dem Bericht über die Fähigkeiten der Außenweltler misstraute und ihr aufgetragen hatte, mit einem Mann in Arvam Peixotos Spionageteam Kontakt aufzunehmen, der bereit war, die Originaldaten, auf denen der Bericht basierte, an ihn weiterzugeben. Sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, aber das machte die ganze Sache nicht weniger widerlich und beschämend.
»Nachdem Sie diese Datennadel in Empfang nehmen, sollen Sie sie also direkt zu Oscar bringen«, sagte Euclides. Er saß gelassen auf seinem niedrigen Stuhl, nur mit einer weißen Hose bekleidet, die Brust nackt. Sein rechter Arm war von der Schulter bis zum Ellbogen mit Tätowierungen bedeckt – stilisierte Adler und Jaguarköpfe, die ein wenig an Mayazeichnungen erinnerten.
»Ja, ich soll sofort zu ihm zurückkehren, wenn ich hier fertig bin«, sagte Sri.
»Also direkt zu Oscar. Sonst ist niemand beteiligt?«
»Nein, sonst niemand.«
Einen Moment lang war das einzige Geräusch das Plätschern des Springbrunnens in der Mitte des schattigen Hofes. Sri spürte ihr Herz in der Brust schlagen wie ein eingesperrtes Tier.
Euclides sagte: »Was hätten Sie getan? Wären Sie damit zu meinem Onkel gegangen und hätten es ihm wie ein eifriger Welpe vor die Füße gelegt?«
»Ich habe über meine Möglichkeiten nachgedacht.«
»Sie sind eine äußerst kluge Frau, Professor Doktor. Ich bin sicher, dass Sie bereits entschieden hatten, wie Sie weiter vorgehen wollen. Wollten Sie Arvam von dem Verräter berichten?«
»Ich habe überlegt, ihn aus dem Weg schaffen zu lassen. Den Verräter.«
»Bevor oder nachdem er Ihnen die Datennadel gegeben hätte?«
»Spielt das jetzt noch eine Rolle?«
»Für mich ist wichtig, dass Sie vollkommen aufrichtig sind.«
»Ich hatte nicht vor, Oscar die Datennadel zu bringen. General Peixoto wollte ich aber auch nichts davon erzählen.«
»Sie wollten meinen Onkel vor den Konsequenzen seiner eigenen Dummheit bewahren. Wie bewundernswert.«
Sri wartete, bis er weitersprach. Der Blick in seinen leuchtenden Augen war spöttisch.
»Mir kommt es so vor, als ob mein Onkel schon immer alt gewesen wäre«, sagte Euclides. »Er blickt auf eine erfüllte und ruhmreiche Geschichte zurück. Aber so ungern ich das auch sage, inzwischen fürchtet er sich vor der Veränderung.
Für ihn ist die Vergangenheit viel wichtiger als die Gegenwart. Weil die Vergangenheit feststeht und vertraut ist. Weil es in der Gegenwart so vieles gibt, was er nicht mehr versteht und worüber er keine Kontrolle hat. Sehen Sie, das ist auch der Grund, warum er sich in diese Einsiedelei zurückgezogen hat. Er hat seine Welt auf eine Größe reduziert, die er beherrschen kann. Das Sammeln von Treibgut. Diese Schildkröten. Sein Gemüsegarten. Ich will ihn gar nicht kritisieren. Ganz im Gegenteil. Für jemanden in seinem fortgeschrittenen Alter sollten solche Hobbys eigentlich vollkommen ausreichen. Aber, wie Sie wissen, kann er einfach nicht aufhören, sich einzumischen. Er gehört dieser Welt nicht mehr an, aber er kann sie auch nicht in Ruhe lassen. Obwohl er nicht mehr versteht, was vor sich geht, glaubt er immer noch, etwas bewegen zu können. Wer ist übrigens der Verräter? Sie haben mir seinen Namen noch gar nicht genannt.«
»Manuel Montagne.«
Sri empfand nichts außer einer leichten Verwunderung darüber, dass sie nichts empfand. Sie hatte einen Mann zum Tode verurteilt, und sie spürte nichts dabei.
»Manuel Montagne«, sagte Euclides und ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Oberstleutnant Manuel Montagne. Einer von Arvam Peixotos engsten Mitarbeitern. Nun, Sie müssen keine Schuld oder Reue empfinden, Professor Doktor. Ich weiß bereits, dass diesem Montagne seine eigenen albernen moralischen Zweifel wichtiger sind als seine Loyalität. Ich weiß, dass er ein Verräter ist. Die Frage ist natürlich, weiß Arvam das auch?«
»Ich bin vollkommen ehrlich zu Ihnen gewesen«, sagte Sri. »Denken Sie daran.«
»Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, und ich bin sehr froh darüber. Sie sind eine unschätzbare Hilfe, Professor
Doktor. Nicht nur wegen Ihrer Fähigkeiten und Ihrem Scharfsinn, sondern auch weil mein Onkel nur vermutet, dass Sie eine Verräterin sind. Er hat noch keine Beweise dafür.«
»Ich habe der Familie immer so gut gedient, wie es mir möglich
Weitere Kostenlose Bücher