Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
sagen Sie nichts mehr. Es ist beschlossene Sache, und daran lässt sich nicht mehr rütteln. Große Veränderungen liegen in der Luft. In den nächsten Wochen müssen wir alle, die uns wichtig sind, in unserer Nähe behalten. Und Sie, meine liebe Frau Professor Doktor, gehören im Moment zu den wichtigsten Menschen überhaupt.«
»Ich habe der Familie treu gedient«, sagte Sri zu ihrem ältesten Sohn. »Wir sind zum Jupiter geflogen, weil ich wollte, dass das Biom ein Erfolg wird. Ich bin mit den besten Absichten
dorthin gegangen. Und zugleich habe ich auch für Arvam gearbeitet. Ebenfalls mit den besten Absichten. Was hätte ich sonst tun sollen? Wenn ich auch nur eine Spur Ungehorsam gezeigt hätte, mich Oscar oder Arvam widersetzt hätte, wäre ich dafür bestraft worden. Alles, wofür ich mich eingesetzt habe, wäre umsonst gewesen. Doch trotz meiner Loyalität stecke ich nun in der Klemme. Ich bin gezwungen, Oscar zu verraten, und danach … nun, du kannst sicher sein, dass ich nicht dafür belohnt werde.«
»Du hast das Richtige getan«, sagte Alder. »Das Einzige, was du unter den gegebenen Umständen tun konntest.«
»Ich weiß. Aber das macht die Sache nicht besser.«
Sri und Alder schlenderten auf dem Gelände der Familienbibliothek der Peixotos umher. An dieser Stelle hatte sich einst der Jardim Botânico befunden – vor dem Umsturz und den Bürgerkriegen. Es war früher Abend. Entlang der Pfade, die zwischen Blumenbeeten, großzügigen grünen Rasenflächen und Baumgruppen hindurchführten, gingen flackernd die Lichter an. Tief im Westen war noch das Nachglühen der untergegangenen Sonne zu sehen, aber sonst war der Himmel klar, und die ersten Sterne funkelten im dunkler werdenden Blau. Die frisch geprägte Sichel des Mondes hing wie ein Zeichentricklächeln über den schwarzen würfelförmigen Bauten der Bibliothek.
Es war einer von Sris Lieblingssorten auf der Erde. Nachdem Oscar Finnegan Ramos sie in einer unbedeutenden Anstellung in einer landwirtschaftlichen Forschungseinrichtung entdeckt und sie mit einem jener berühmten Stipendien ausgestattet hatte, die es dem Empfänger erlaubten, sich mit jedem beliebigen Forschungsthema zu befassen, hatte sie drei Jahre hier verbracht und ihre ersten wirklich originellen Ideen entwickelt. Hier hatte sie langsam begriffen, wie sie sich und ihre Karriere gestalten musste, um es in der Welt zu
etwas zu bringen. Dort drüben, auf der Bank vor einer Ansammlung von Palmen und Hibiskus, war ihr der Geistesblitz gekommen, wie sie das Elektronentransferproblem in dem neuen künstlichen Photosynthesesystem lösen konnte, mit dessen Entwicklung sie beschäftigt gewesen war – ein Problem, das sich wochenlang jeder Lösung verweigert hatte, egal, wie sie es auch gedreht und gewendet hatte. Sie erinnerte sich, dass sie smaragdgrüne Kolibris mit sich rasend schnell bewegenden Flügeln über den grellroten Hibiskusblüten hatte schweben sehen, als ihr plötzlich aus heiterem Himmel die Antwort eingefallen war. Ein wahrer Moment der Erleuchtung, eine reine und ungetrübte Freude, wie sie sie erst wieder bei der Geburt ihres ersten Sohnes verspürt hatte.
Sri unterhielt immer noch ein Apartment in einem der Wohnhäuser, die für Gastgelehrte vorgesehen waren, und liebte es, in den Gärten rund um die Bibliothek spazieren zu gehen. Doch nun fühlte sich das geliebte und vertraute Labyrinth aus Wegen und landschaftlich gestalteten Hügeln und Erdwällen wie ein Käfig an, und die warme, feuchte Luft drückte wie ein Leichentuch auf sie nieder.
»Euclides agiert nicht allein«, sagte Alder.
»Nein. Er hätte sich so etwas nicht ausdenken können. Er ist nur der sichtbare Teil einer tieferliegenden Verschwörung, die von einer Fraktion innerhalb der Familie ausgeheckt wurde. Die Beteiligten sind für einen Krieg und wollen Oscar demütigen. Um seine Autorität zu untergraben. So viel ist klar. Und ich glaube, dass sie Arvam ebenfalls schaden wollen.«
»Bist du sicher, dass er an der ganzen Sache nicht beteiligt ist?«
»Euclides hat klargestellt, dass er es nicht ist. Dass er nichts davon weiß, dass ein Mitglied seines Stabes Informationen
an Oscar weitergibt. Nein, sie werden das auch gegen Arvam verwenden, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Um sicherzustellen, dass er nicht zu mächtig wird, wenn der Krieg erst einmal gewonnen ist. Und natürlich werden sie es auch als Vorwand dafür benutzen, um mich aus dem Weg zu räumen. Das ist alles hervorragend
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