Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
verspürt hatte, als sie aus der Kirche des Göttlichen Regresses geflohen war. Damals hatte sie ihre Flucht ein ganzes Jahr lang vorbereitet. Sie hatte sich auf dem Kirchengelände ein geheimes Lager mit Vorräten und Kleidung angelegt, hatte sich drei verschiedene Routen zur nächsten Autobahn ins Gedächtnis eingeprägt, einen Wurm geschrieben, der die Sicherheits-KI ausschalten sollte, Beruhigungsmittel aus der Apotheke gestohlen, um die Wachhunde zu betäuben, und jeden einzelnen Schritt ihrer Flucht vorbereitet und geprobt. Dieses Mal musste sie jedoch spontan handeln.
Inzwischen war sie beinahe bei der langen Reihe von Baurobotern angelangt und ging auf einen kleinen Bulldozer zu, der hinter der breiten Schaufel über einen Schalensitz verfügte. Sie musste lediglich herausfinden, wie sie den Motor starten konnte, dann könnte sie sogar stilvoll in die Stadt fahren …
Auf der virtuellen Anzeige begann ein Icon zu blinken und nahm ihr die Sicht: ein hereinkommender Anruf auf einem der Kurzstreckenkanäle. Sie drehte sich um und spürte einen panikartigen Adrenalinschub, als sie eine Gestalt in einem roten Druckanzug wie dem ihren aus einer Luftschleuse
auf der gegenüberliegenden Seite der mit staubigen Fußabdrücken überzogenen Senke kommen sah. Die Gestalt bewegte sich so vorsichtig wie ein alter Mann, der eine Eisbahn überquerte. Macy duckte sich zwischen zwei der großen Maschinen, lief ein Stück zurück und suchte im schwarzen Schatten eines drei Meter hohen Rades Schutz.
Die Gestalt setzte sich in Bewegung, klein, aber vor dem dunklen Hintergrund deutlich zu erkennen. Sie kam direkt auf sie zu. Macy tastete die Taschen und Karabinerhaken ihres Anzuggürtels ab und sah im Geiste den Taser vor sich, den sie auf dem Boden der Luftschleuse neben dem Kleidergestell zurückgelassen hatte. Dumm, Macy, sehr dumm. Beinahe so schlimm wie die Tatsache, dass sie vergessen hatte, die Luftschleuse wieder zu verriegeln. Das Icon blinkte immer noch. Nun, der Hurensohn wusste bereits, wo sie war. Wenn sie seinen Anruf entgegennahm, würde sie zumindest wissen, mit wem sie es zu tun hatte.
»Da sind Sie ja«, sagte Loc Ifrahim, als sie den Kanal öffnete. »Hören Sie, Macy, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Bleiben Sie ruhig und tun Sie nichts Unüberlegtes. Wir können die ganze Sache aufklären, Sie und ich.«
»Und wie sollen wir das tun?«
Macy war sich sicher, dass Loc Ifrahim und Speller Twain vorgehabt hatten, ihr den Mord an der armen Ursula Freye in die Schuhe zu schieben. Sie hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie entkommen war. Nun mussten sie sie also umbringen. Wenn ihnen das nicht gelang und Macy den Friedensoffizieren der Stadt in die Hände fiel, könnte sie ihr Komplott an die Öffentlichkeit bringen. Sie ging auf den größten der Bauroboter zu, der über drei breite Raupenkettenpaare verfügte, zwischen denen ein Kran aufragte. Während ihrer Arbeit für das R & S-Korps hatte sie eine Menge schwere Ausrüstung gesehen, aber das
hier war ein echtes Ungetüm. Die Plattform des Krans war etwa fünfzig Meter lang, und sein ausfahrbarer Schwenkarm, der aus dünnen Streben aus Fullerenverbundstoff bestand und in einem Winkel von dreißig Grad in die Höhe ragte, hatte mindestens die doppelte Länge.
»Wir müssen miteinander reden und unsere Geschichten abstimmen«, sagte Loc Ifrahim. »Zunächst einmal muss ich wissen, was zwischen Ihnen und Ursula vorgefallen ist.«
»Sie war schon tot, als ich sie gefunden habe. Das sollten Sie eigentlich wissen.«
»Ich weiß nur, dass Mr. Twain Sie bei ihrer Leiche angetroffen hat. Sie haben ihn angegriffen und sind dann weggelaufen. Das rückt Sie nicht unbedingt in ein gutes Licht, nicht wahr? Aber ich bin bereit, mir Ihre Version der Geschichte anzuhören. Ich würde mich gern mit Ihnen treffen, damit wir gemeinsam überlegen können, wie Sie weiter vorgehen sollten.«
»Ich weiß nur eines: Ursula hatte Recht. Jemand versucht, das Biom zu sabotieren«, sagte Macy und unterbrach die Verbindung.
Sie überlegte, ob sie Loris anrufen sollte, aber sie wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis Hilfe einträfe. Sie könnte auch fliehen – den steilen Abhang der Böschung hinaufsteigen und ins Gelände hinauslaufen. Sie verfügte über genügend Luft und Energie, um länger als zwei Tage hier draußen überleben zu können. Aber mit ihrem verletzten Knöchel würde sie nicht sehr schnell vorankommen, und wenn Loc Ifrahim einen der
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