Der stille Ozean
war. Er hatte sich gut mit Therese verstanden, vor allem, weil sie Humor hatte und ein wenig oberflächlich war (was Ascher mochte). Sie brachte ihm ausländische Magazine, Wiesenblumen, Obst, Bücher und Zigaretten. Ascher gefiel es, daß sie und sein Vater Geheimnisse hatten. Therese war auch um die Erziehung Katharinas besorgt gewesen. Sie hatte ihr Lesen und Schreiben beigebracht, bevor sie noch zur Schule ging. Im Grunde hatte Ascher ein normales und unauffälliges Leben geführt. Vielleicht konnte man diese Unauffälligkeit als Zufriedenheit bezeichnen, im nachhinein kam es ihm wenigstens so vor. Er erzählte Therese noch im Vorraum von dem Mann im Gasthaus, was sie jedoch zu amüsieren schien. Einmal hatte er gedacht, daß er schwerfällig und sie leichtfertig war. Er hatte sie nie betrogen. Weder auf Reisen noch bei Gelegenheiten – nicht weil er Angst davor hatte, sie könnte es erfahren, sondern weil er es nicht gewollt hatte. Andererseits war er sich nicht sicher gewesen, ob sich Therese ebenso verhalten hatte. Aber seiner eigenen Unsicherheit ohne Anhaltspunkte nachzugehen, kam ihm kleinlich vor, weshalb es nie eine Aussprache darüber gegeben hatte. Er war auch überzeugt, daß er Therese damit verletzt hätte, gleichgültig, ob sie ihm treu gewesen war oder nicht, und davor scheute er zurück. Auf dem Dachboden war es kalt. Als er Therese in das Zimmer führte, fiel ihm die Schäbigkeit des Hauses stärker auf. Er bemühte sich, seiner Frau den Eindruck von Gelassenheit zu geben. Alles, was zu erklären gewesen wäre, überging er. Er tat so, als sei es selbstverständlich, daß das Mikroskop auf dem Tisch stand. Insgeheim war er jedoch froh darüber, daß das Zimmer den Eindruck machte, als beschäftige er sich und triebe nicht dahin. Dann fiel ihm das Gewehr ein und die Pistole unter dem Kopfpolster. Er führte Therese in die Küche, gab vor zu frieren und ging zurück auf das Zimmer. Dort nahm er die Waffen an sich und versteckte sie im Kasten auf dem Boden. Er überlegte, sogleich in die Stadt zurückzufahren … aber, was würde sich Zeiner denken? So sagte er nichts. Als er neben Therese lag, fragte er sie, was in der Stadt vorgefallen sei. Er selbst erwähnte, was er erlebt hatte, nur in kurzen Zügen. Am nächsten Abend würde er in die Stadt fahren, ohne daß Therese es wußte. Er umarmte sie mit einem überraschend neuen Reiz. Schließlich war er, er wußte nicht, wie spät es gewesen war, eingeschlafen. Als er erwachte, war es Mittag. Er fand einen Zettel mit ein paar Zeilen seiner Frau. Auf dem Tisch lag die frische Wäsche. Er packte das Notwendigste zusammen und entdeckte dabei ein Bild auf dem Tisch, das seine Frau ihm von zu Hause mitgebracht haben mußte und das sie ihm am Anfang ihrer Beziehung geschenkt hatte. Er ging zu Zeiner und fuhr mit ihm hinunter in das Tal.
10
Als er nach einer Woche wiederkam, dämmerte es schon. Das Haus war ungeheizt und eiskalt. Ascher hatte auf der Fahrt in der Ebene bemerkt, daß Zeiner die Politik wieder gleichgültig geworden war. Zwar hatte er sich auch vor den Wahlen nicht besonders dafür interessiert, nun aber hatte er mit einer Handbewegung abgewunken, als Ascher die Rede darauf gebracht hatte. Im Grunde hatte sich nichts geändert. Die Sozialdemokraten hatten Stimmen verloren, die Anzahl der Landtagssitze jedoch halten können. Unterwegs hatte Ascher an Viehställen, Heustadeln und dicken Bäumen noch immer die Wahlplakate hängen gesehen. Die großen Gesichter der Politiker blickten auf Felder, Äcker, Dorfstraßen und Wiesen.
Zeiner half ihm, den Ofen in der Küche einzuheizen. »Sie müssen Holz kaufen, wenn Sie über den Winter bleiben wollen«, sagte er. In einem Küchenkästchen hörten sie ein Krachen und Nagen, und als Ascher eine Lade herausgezogen hatte, fiel ein Haufen Papierschnitzel heraus. Sogleich sah er, daß das eingelegte Packpapier zerfressen war, und als er die Klapptürchen öffnete, stieß er auf angenagte Teebeutel, Zucker und Salzpäckchen und einen Karton mit Zwieback, in dem sich nur noch Brösel befanden. »Mäuse«, sagte Zeiner. »Wenn sich die Tollwut ausbreitet, sind die Mäuse am gefährlichsten, weil man ihnen ohne Vorsicht begegnet.« Er half Ascher beim Aufräumen und beim Aufstellen der Fallen. Ascher hatte zurückgezogen in der Stadt gelebt, und als er wieder gefahren war, meinte er, daß es für seine Frau und das Kind nicht so schlimm sei, von ihm getrennt zu sein. Manchmal hatte er das Gefühl
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