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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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seinen Namen so häufig, daß ihn sogar das kleine Kind kannte. Geschah es aus Neugierde oder wußte man etwas über ihn? Waren Gerüchte im Umlauf? – Trotz seiner Gedanken ging er weiter. Das Haus war aus dunklem Holz, rundherum auf den steilen Hängen war ein Weingarten angelegt. Im Hof sah er Enten, den Viehstall, einen von einer fleckigen Betonmauer umgebenen Misthaufen. Zwei andere Kinder liefen jetzt aus dem Haus, ein Bub und ein Mädchen, die ebenfalls seinen Namen riefen, ihm dabei aber den Rücken zukehrten. Sie verschwanden hinter der Tenne, und als er sie erreicht hatte, sah er dort, wo im Sommer der Gemüsegarten sein mußte, den Hund auf einem Plastiktischtuch liegen. Die Kinder waren stehengeblieben, zeigten stumm auf den Hund, spielten dann aber sofort weiter. Auch die Frau, stellte Ascher fest, kannte er. Sie hatte ein rotes Gesicht und wäßrige Augen, war blond und stark und stand ratlos über den Hund gebeugt.
    »Sehen Sie ihn sich an«, sagte sie erwartungsvoll. Inzwischen waren die Kinder auf die Tenne geklettert und riefen Aschers Namen, indem sie den Kopf zwischen Lücken im hölzernen Balkon steckten. Blickte Ascher zu ihnen auf, so zogen sie ihn lachend zurück und versteckten sich, bis er wieder wegsah. Der Bauer kam nun, schüttelte ihm stumm die Hand und drehte den Hund auf die andere Seite, so daß Ascher die Einschußlöcher der Schrotkugeln sah. »Wir können nichts machen«, sagte er. Er war noch jung, hatte ein breites Gesicht und trug einen Hut und eine blaue Schürze, Ascher mußte ihm schon einmal begegnet sein, er wußte jedoch nicht, wo.
    »Sollen wir den Tierarzt holen?« fragte die Frau. Ascher sagte, ja. Die Frau blieb an ihrem Platz stehen, und auch der Mann machte keine Anstalten zu gehen. »Vor einer halben Stunde habe ich ihn hierhergebracht«, sagte sie. »Kaum habe ich ihn auf das Tischtuch gelegt, ist der Jäger Scherr gekommen und hat mich gefragt, wie die Weinlese heuer war. Dann hat er mich gefragt, ob er nicht meinen verletzten Hund erschießen solle, damit er nicht länger zu leiden brauche.« Nachdem sie nein gesagt habe, sei er wieder gegangen. Schon seit sieben oder acht Jahren sei er nicht mehr bei ihnen vorbeigekommen, und jetzt habe er sich plötzlich für die Weinlese interessiert. »Warum wohl? Welchen Grund soll er dafür gehabt haben? Was ging ihn die Weinlese an?« Sie nahm eine Plastikschüssel und versuchte, den Hund zu waschen. »Die Nachbarin«, setzte sie fort, »hat den Hund verletzt im Graben liegen sehen. Sie hat gerade schmutziges Wasser vor die Tür geschüttet, als sie den Hund bemerkt hat. Natürlich kann sie nicht sagen, wer es war, aber ich bin sicher, daß es der Scherr gewesen ist. Noch dazu hat er ein Gewehr bei sich gehabt.« Die Wunden bluteten zwar nicht, aber Ascher nahm an, daß die Eingeweide tödlich verletzt waren. Die Kinder lachten von der Tenne, steckten die Köpfe über die Brüstung und warteten, daß er einen Blick auf sie werfe. Weil er es nicht sofort tat, kicherten sie – um ihn neugierig zu machen –, schnarchend und keuchend, so, als müßten sie mit größter Anstrengung ihr Lachen zurückhalten. Kaum aber hatte er den Kopf gehoben, waren sie kreischend hinter der Bretterwand verschwunden. Der Bauer war kurz weggegangen und brachte einen Glaskrug mit Wein, und seine Frau holte eine Schnapsflasche aus der Schürze und goß etwas über die Wunden. Der Hund reagierte nicht darauf. Gleich darauf atmete er heftig, und Schaum trat aus seinem Maul. »Er stirbt«, sagte Ascher. Die Frau ging.
    »Er stirbt«, hatte ihr der Mann daraufhin nachgerufen. Auf einmal hörte der Hund zu atmen auf. Die Kinder waren inzwischen zum Bauernhaus zurückgelaufen und schrien und spielten. »Es ist aus«, sagte Ascher, als der Hund die Hinterläufe ausgestreckt hatte.
    »Es ist vorbei«, wiederholte der Bauer zu seiner Frau hin. Dann wendete er sich Ascher zu und sagte: »Da hätte es auch nichts genutzt, wenn wir den Tierarzt geholt hätten. Wir hätten nur zahlen müssen.« »Es ist schon vorbei«, rief er wieder zu seiner Frau. Anschließend hatten sie die Nachbarin aufgesucht. Sie trat mit einem kleinen Kind auf dem Arm vor ihr Haus. Junge Katzen, so sah Ascher durch den Türspalt, kletterten in einer Gehschule im Vorzimmer. Die Frau gab an, wann sie den Schuß gehört hatte. Sie habe sich jedoch nicht aus dem Haus getraut, sondern sich im Gegenteil eingesperrt und die Nachbarin gerufen. Dann habe es an der Tür geklopft und ein Mann

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