Der stille Ozean
angerufen, daß der Sohn der Witwe unterwegs sei, um ihn abzuholen. »Wissen Sie, daß das Brunnenwasser gefroren ist? Wenn Sie Wasser brauchen, müssen Sie zum Nachbarn hinunter, ich habe einen Kanister für Sie in den Vorraum gestellt.« »Gut. Benachrichtigen Sie doch den Sohn der Witwe, damit er nicht länger auf mich wartet.« Ascher steckte ihm Geld in die Tasche, und Golobitsch tat, als hätte er es nicht bemerkt.
Der alte Nachbar und sein Sohn luden gerade Betonröhren aus. Als sie Ascher kommen sahen, wandten sie ihrer Tätigkeit noch mehr Aufmerksamkeit zu, kaum hatte er sie jedoch angesprochen, setzten sie die Betonröhre ab und gaben ihm Auskunft. Der Alte war mittelgroß, hatte einen Bart und lächelte die meiste Zeit über. Er trug einen grauen Arbeitsmantel und einen schwarzen Hut mit einem breiten grünen Band, der Sohn war kräftig, hatte ein breites, rundes Gesicht und große Hände. Er führte ihn in das Haus, wo er den Kanister füllen durfte. Währenddessen klopfte es an der Tür, und zwei Männer der Freiwilligen Feuerwehr traten ein, um Karten für den Feuerwehrball zu verkaufen. Der ältere der beiden, ein kleiner Mann mit Zahnlücken, war betrunken, taumelte in der Küche herum und legte die Eintrittskarten auf den Tisch. Er war in Uniform, während der andere, ein dicker, ruhiger Mann, im Overall gekommen war. Er bot Ascher ein Plakat mit großen roten Buchstaben an, und als er ablehnte, kam der Betrunkene, packte ihn an den Mantelaufschlägen und fing an, ihm zu erklären, wie er das Haus des Nachbarn löschen würde. Unten im Graben sei ein Teich, er sei ungefähr zweihundert Meter vom Haus entfernt. Sie würden einen Schlauch in den Graben legen und die Pumpe anschließen. Es komme darauf an, was brenne. Brenne zum Beispiel ein Arbeitsgebäude, so müsse zuerst das Wohnhaus geschützt werden. Man müsse darauf achten, daß nicht auch die übrigen Gebäude Feuer fingen, deshalb sei es das Gescheiteste, das brennende Wirtschaftsgebäude aufzugeben und zu versuchen, die anderen zu retten. Der dicke Feuerwehrmann hatte inzwischen dem Bauern zwei Karten verkauft, auch Ascher nahm ihm eine Karte für den Ball ab, der betrunkene aber wollte auch noch dem Alten zwei verkaufen.
»Die nehmen nichts«, sagte der junge Bauer. »So?« Und wenn es brenne? Seien sie dann nicht zufrieden, daß es eine Feuerwehr gebe? – Er fuchtelte mit den Händen in der Luft und fragte den Jungen plötzlich, ob er nicht zu Weihnachten einen Fuchs geschossen habe. Er habe davon gehört. Der Bauer verschwand in ein Zimmer und kam mit einem besonders schönen Pelz zurück. Der Länge nach reichte er dem Feuerwehrmann vom Kinn bis zum Boden, der Schwanz war flauschig und groß. Der Feuerwehrmann legte den Pelz um den Hals und spazierte, nun wieder vom Brand zu reden anfangend, in der Küche herum. Inzwischen kam der alte Bauer mit seiner Frau. Die Frau blickte am Feuerwehrmann vorbei und begann eine große weiße Primel in einem Topf zu gießen, die auf dem Fensterbrett stand. »Sie blüht auch im Winter«, sagte die Frau, die bemerkte, daß Ascher sie betrachtete.
Ascher stand mit dem gefüllten Wasserkanister neben dem Herd und nickte. Die Frau setzte sich an den Tisch und fuhr fort, daß der Traktor noch vor der Einfahrt stünde, wie um den Sohn aufzufordern, daß er wieder an die Arbeit ginge. Der betrunkene Feuerwehrmann hatte inzwischen den alten Bauern umarmt, und da der alte Bauer aus der Mehlkammer gekommen war, war seine Uniform von weißem Staub bedeckt. Seine Kappe saß schief' auf dem Kopf, und erst nachdem der Junge ihm eine weitere Karte abgekauft hatte, nahm er den Fuchspelz, legte ihn über einen Sessel und verließ mit dem zweiten Feuerwehrmann das Haus. Ascher ging etwas später.
Das Mikroskop stand auf dem Küchentisch. In dem Kistchen fand er auch die gläsernen Plättchen mit den Präparaten, die er, nachdem er ausgepackt hatte, wieder betrachtete, wobei ihm einfiel, daß er in der Stadt die ganze Zeit über nie an sie gedacht hatte. Eigentlich war er nicht bei der Sache. Er schaute sich Froschblut an, Kieselnadeln, Schwämme, Plankton aus dem Meer, Rotalgen, Tang, Moostierchen und Pflanzenteile, aber er spürte, daß sein Interesse daran erlahmt war. Als er nach vielen Jahren die Präparate wieder zum ersten Mal gesehen und sein Wissen wieder aufgefrischt hatte, hatte er auch die alte Neugierde wieder gespürt. Nun aber kam ihm das Betrachten wie ein Abschiednehmen vor. Vielleicht würde sich
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