Der stille Ozean
war, entschlossen sie sich, mit dem Auto zu fahren. Therese und Katherina waren im Auto fröhlich und lebhaft, und beim Fahren klirrte im Fond eine Flasche, denn Therese hatte die Gewohnheit, alles, was sie irgendwo hinfahren wollte, in das Auto zu legen und herumkollern zu lassen, bis sie endlich dort angekommen war, wohin sie es hatte eigentlich bringen wollen. Aber selbst dann vergaß sie es manchmal herauszunehmen, und die Gegenstände verblieben wieder für Tage und Wochen im Auto. Er mochte das nicht, und Therese wußte das. Sie warf ihm einen spaßigen Blick zu und stopfte die Flasche in den Raum vor dem rückwärtigen Fenster. Als sie weiterfuhren, fing Katherina an zu singen. Die Sicht war klar und weit, und die Sonne leuchtete durch das Gewirr von Obstbaumzweigen. Von einem der Bauernhöfe hörten sie das hohe Geräusch einer Kreissäge, auf der Straße kam ihnen eine alte Frau in einem langen Mantel entgegen, die aus Vorsicht von der Fahrbahn trat und wartete, bis sie vorbeigefahren waren. Im Westen war die Luft dunstig, und auch die Berge waren silbergraue Schatten und schienen durchsichtig zu sein. Im laublosen Wald wichen sie einem Traktor mit einem Anhänger, auf dem gefällte Bäume gestapelt waren, aus, der Fahrer sah sie erstaunt an, Ascher kannte ihn nicht. Sie bogen nach dem Stallgebäude zum Haus des Mannes, bei dem er das Holz gekauft hatte, ab. Das jüngste Kind hockte gerade mit nacktem Hintern vor der Treppe und pißte. Es trug ein hübsches blaues Kleidchen mit einem roten Saum und weiße Gummistiefel. »Ascher! Ascher!« schrie es, als es ihn erkannte.
23
Sie waren nicht lange geblieben. Als er in die Küche eingetreten war, hatte eines der Kinder ihn an einem Bein festgehalten, der Sohn war auf dem Bett gelegen, über das Wäsche zum Trocknen gespannt gewesen war, und das kleine Kind hatte mit einem Polster auf die Mutter hingeschlagen, daß der Überzug platzte und Federn durch die Luft wirbelten. Daraufhin hatte es ein Gesicht gemacht, das eine Ohrfeige vorweg angezeigt hatte. (Üblicherweise folgte ein solches Gesicht einer Bestrafung.) Die Mutter hob auch die Hand, holte aber dann eine Brille aus der Tischlade und setzte sie auf. Es war eine runde Drahtbrille, an der ein Bügel fehlte und ein Glas gesprungen war. Mit einer Hand hielt sie die Brille dort, wo der Bügel fehlte und blickte auf die in der Luft wirbelnden Federn. Dann setzte sie sich, ohne etwas zu unternehmen, an den Tisch und schob einen Mostkrug vor sie hin. Vor einem Jahr sei eine Fürsorgerin bei ihr heraußen gewesen, sagte sie, und habe sich nach dem Kind erkundigt. Nachdem sie es gesehen habe, habe sie ihr den Rat gegeben, die Pille zu nehmen, damit sie nicht noch so eines bekomme. Das Kind hatte sich auf den Schoß von Aschers Frau gesetzt und schaukelte mit dem Kopf, als sie es jedoch streicheln wollte, wich es aus und gab die Zischlaute von sich. Katherina betrachtete es neugierig. Plötzlich riß es sich los und lief hinaus, und die Schwester zog Katherina ins Freie. Vor dem Haus bedeckte braunes Eis den Boden. Von der Küche aus sahen sie, wie die Kinder sich auf den Schlitten setzten und den vereisten Hang hinunterfuhren. »Wir wollen jetzt unser Haus umbauen«, sagte die Frau. »Wir wollen neue Eingangstüren. Die Türen machen den Vorraum so dunkel, und wir hätten gerne Glasscheiben, daß die Sonne hereinleuchtet. Auch das Heizen ist schwierig. Wir haben überall noch Öfen, ich muß oft drei gleichzeitig warm halten im Winter, das ist viel Arbeit. Das Wasser holen wir vom Brunnen, so daß wir beim Baden große Häfen auf dem Herd zustellen müssen, und da wir sechs Personen sind, können wir uns nicht oft genug waschen. Dann sind auch die Fenster nicht dicht, und den Bretterboden muß ich häufig ausreiben, wenn wir es sauber haben wollen. Die Wände sind noch dazu im Winter feucht, sehen Sie sich die Flecken an.« Sie streckte einen Finger aus. Dabei hätten sie es ohnedies noch gut. Die Witwe, deren Haus über dem Kuhstall aufgebaut sei, habe Schaben. Nachts, wenn es dunkel sei und einige Zeit still, dann könne man sie, betrete man die Küche, an den Wänden sehen. Vermutlich kämen sie aus dem feuchten Kuhstall. »Sie wissen gar nicht, wie schwer es ist, in einem alten Haus zu leben«, ereiferte sie sich. Die Angestellten von der Landwirtschaftskammer rieten ihnen immer zu, die alten Häuser nicht aufzugeben, aber selbst in einem alten Haus wohnen und eine Wirtschaft führen, wolle keiner.
Weitere Kostenlose Bücher